Fackelt die Alten ab: Dunkel – Komischer – Margaret Atwood

Margaret Atwoods Erzählband „Die steinerne Matratze“ brilliert mit bittersüßem und tiefschwarzem Humor.

Ist er wirklich da draußen, der wütende Mob von Menschen mit Babymasken? Wird da vor dem Senior_innenheim wirklich „Fackelt die Alten ab“ skandiert? Oder sind die kleinen, sonst so freundlichen Menschlein, die Wilma, die Protagonistin der finalen Erzählung, durch ihre Augenkrankheit zu sehen glaubt, plötzlich doch bösartig geworden?

„Es sind nur Symptome: Das Charles-Bonnet-Syndrom kommt in ihrem Alter häufig vor, vor allem bei Augenproblemen. Sie hat Glück, ihre Manifestationen – ihre Chuckies, wie Dr. Prasad sie nennt – sind meist gutartig.“

Wilma, eine recht gut betuchte Seniorin, ist in einer Unterkunft für recht gut betuchte Senior_innen untergebracht. Dort verbringt sie ihre Zeit meistens mit Tobias, ein sanfter, zuvorkommender Gentleman, der gerne noch der junge Lüstling von früher wäre. Wilma mag ihre Chuckies, die kleinen Figürchen, die sie ab und zu sieht, während sie von der „realen“ Welt nur noch Umrisse und Schatten sehen kann. Sie wünscht sich nur ihre Chuckies mögen doch auch einmal mit ihr sprechen.
Vor der Unterkunft baut sich langsam ein Mob von Protestierenden auf – sie nennen sich „Wir sind dran“ (und nicht „Wiesendrang“, wie Wilma zuerst versteht). Mit Babymasken fordern sie das Ende dieser Alten, die nicht nur jahrelang den Kapitalismus heraufbeschworen und genährt haben, sondern auch jetzt in ihrem Luxusaltenheim herumvegetieren und Steuergelder verschwenden. Fackelt die Alten ab, also! Ob dieser Mob da wirklich ist, ob Wilma und Tobias wirklich fliehen, oder ob die Chuckies nicht doch endlich angefangen haben zu sprechen – darüber lässt uns Atwood im Unklaren.

Atwoodian – so nennt man den Erzählstil der kanadischen Autorin: ein bisschen böse, sarkastisch und dabei urkomisch. Ihr Werk ist vielfältig und spannt den Bogen von dystopischen Endzeitszenarien (MaddAddam-Trilogie) bis hin zu der gerade erschienenen Graphic Novel „Angel Catbird“.
Dass der Erzählband „The Stone Matress“ im Original den Zusatz „wicked tales“ bekommen hat, wundert nur wenig. Die Stories, die Atwood in diesem Band versammelt, sind ein bisschen gemein, extrem sarkastisch und wahnsinnig witzig. Sie erzählen vom Altern und vom Alter, sie erzählen über das „Erzählen“, von verpassten Gelegenheiten und von Rache – denn was diese Alten in den Geschichten auf jeden Fall nicht sind, sind friedvolle Omis und Opis. Stattdessen töten, lästern, rächen und mauscheln sich die Figuren durchs Leben und brechen damit mit dem klischierten Bild d_ sanften und liebevollen Rentner_in, d_ mit Zufriedenheit auf ihr Leben blickt.

„Das machte man damals so als Mädchen – man schuftete sich zu Tode, um der Vorstellung irgendeines Mannes von seiner eigenen Genialität zuzuliefern.“

Atwood schildert das Alter als einen „Zustand der komischen Anarchie, in dem es nichts mehr zu verlieren gibt“ stellt Edelgard Abenstein von Deutschlandradio Kultur sehr treffend fest.
Mit beiläufig wirkenden Bemerkungen gibt Atwood dem Erzählten mal eben einen ganz anderen Turn und fügt ganz nebenbei noch die Komik zu dem Ganzen hinzu. Der Übersetzerin Monika Baark gelingt es zudem ganz großartig diesen leicht fiesen Humor auch im Deutschen grandios zu vermitteln.

„Verna hatte anfänglich nicht vorgehabt, jemanden zu töten. Woran sie gedacht hatte, war Urlaub, nicht mehr und nicht weniger. Eine Auszeit nehmen, sich sammeln, Altlasten loswerden.“

Margaret Atwoods „Die steinerne Matratze“ bietet klugen und unterhaltsamen Lesestoff für all diejenigen unter uns, die bei der in den Bus hineindrängelnden Oma gerne mal die Augen verdrehen – vielleicht sieht man dieses Alltagszenario danach ganz anders. Vielleicht auch nicht.

Harte Fakten zum Buch:

Margaret Atwood:
Die steinerne Matratze. Erzählungen, 2016
Übersetzt von Monika Baark
Berlin Verlag; 304 Seiten; 20 Euro

Ich danke dem Berlin Verlag für das Rezensionsexemplar!

Titelbild: Cover des Buches, ©Berlin Verlag im Piper Verlag