Nicht alles grau: Foejetongs Favourites in einem shitty Jahr

Seit ich erwachsen bin (erst neuerdings) habe ich das Gefühl, jedes Jahr versucht das vorangegangene an Ekelhaftigkeit zu übertrumpfen und auch dieses Jahr war …nun ja. Neben politischen und ideologischen Katastrophen, musste auch die Kulturszene bittere Enttäuschen verkraften. Trotzdem haben Künstler_innen und Kulturschaffende dieses Jahr auch mit hervorragenden Texten, Alben, Filmen, Inszenierungen, Serien bereichert. Meine kulturellen Highlights des Jahres (so far): 

Literatur:

Margarete Stokowski: Untenrum frei

„Stokowskis Buch ist gleichzeitig wahnsinnig komisch und zutiefst bedrückend. Es ist eindrücklich in der Alltäglichkeit der Beispiele, die sie anbringt, damit Debatten um Feminismus auf den Teppich holt und gleichzeitig zu verstehen gibt – Leute, das sollte so nicht laufen. Es gibt Alternativen. Es sind persönliche Geschichten, die sie schildert. Sie machen uns klar, wie nötig dieses Buch ist und dass schweigen nie eine Option ist. In sieben grandiosen Kapiteln handelt Stokowski kolumnenhaft ab was uns (und damit meine ich alle Menschen) daran hindert uns obenrum frei zu machen und wie dies gelingen kann. Anarchie ist ihre Antwort. Aber nicht jener Anarchismus, der als Chaos propagiert wird, sondern jener, bei dem nicht von oben nach unten regiert wird, sondern auf einer Ebene. Eine Gesellschaftsform in der jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, Körper, Aussehen, Hautfarbe und sexueller Orientierung die gleichen Rechte besitzt.“ (zum gesamten foejetong-Artikel)

Lucia Berlin: Was ich sonst noch so verpasst habe

„Trotz der Schwere der Themen schreibt Berlin mit einer einzigartigen Leichtigkeit, die sogar Alles-Verreißer des Literarischen Quartetts, Maxim Biller, schwer beeindruckte und ihn dazu bewegte, den Band als das beste Buch, das bisher in der Sendung diskutiert wurde, zu bezeichnen. Die Auswahl und Zusammenstellung der grandios übersetzten Stories von Antje Rávic Strubel ist mehr als gelungen. Durch 30 Erzählungen, die trotz ihres Inhaltes, erschreckend wenig bedrückend daherkommen, begleitet man scheinbar die selbe Protagonistin und kommt daher nicht umhin, den Erzählband wie einen vielseitigen und rührenden Roman zu lesen. Ihre Geschichten sind erstaunlich und enden meist überraschend. Sie besitzen die Fähigkeit ganz unverkitscht zu bewegen.“ (zum gesamten foejetong-Artikel)

Musik:

Beyoncé – Lemonade

Über Nacht und ohne wirkliche Vorwarnung hat Beyoncé dieses Jahr mal wieder ein Visual Album auf den Markt geworfen. Beyoncé hat damit ein emanzipatorisches Meisterwerk geschaffen, das von der Frage nach Privatem (Wer zum Teufel ist denn nun diese Becky mit dem guten Haar?) hin zum Politischen („The most disrespected person in America is the black woman.“) changiert und wieder zurück. Ein Popspektakel ist das schon lange nicht mehr – Pop-Art trifft es schon eher. (Klick mich)

Solange – A Seat at the Table

Es ist wie metallene Wolken, die stets über einem hängen und einen nach unten drücken – um diesem Gefühl zu entkommen versucht die Protagonistin im Song „Cranes in the Sky“ alles. Vergeblich. Solanges „A seat at the table“ schafft es dem bis dahin recht konkurrenzlosen „Lemonade“ ihrer Schwester Konkurrenz zu machen. Mit entschleunigten, souligen Klängen und politischen Sprechparts hat Solange eine grandiosen Einblick in die Befindlichkeiten und Situation Schwarzer Frauen (und Männer) in der US-amerikanischen Gesellschaft geschaffen. Einer meiner Pop-Höhepunkte des Jahres. (Klick mich)

Angel Olsen – My Woman

Das dritte Studioalbum der Frau mit dem ungewöhnlichen Künstler_innennamen, der keiner ist, handle, verrät Angel Olsen der SPEX, vom „komplizierten Chaos, eine Frau zu sein und für sich selbst einzustehen.“ Dann erklingen schon mal rotzige Nummern wie „Shut up and Kiss me“, was uns Olsen nahezu entgegenschreit (ästhetisch hochwertig, versteht sich) oder eher andächtige Songs wie „Intern“ oder „Sister“. Ihre eigene Gefühlswelt zu ordnen, wie sie es auch auf den beiden vorangegangen Alben versucht hat, ist ihr auch hier nicht gelungen – nicht schlimm, denn Angel Olsens Gefühlschaos ist ein ganz großartiges, zumindest für die Hörer_innen des Albums.

Angel Olsen hat mir im Columbia Theater außerdem, dicht gefolgt von Laura Gibson in der Kantine (Beyoncé in Brüssel mal aus der Wertung gelassen, weil Queen Bey), das tollste Konzert des Jahres beschert. (zum gesamten foejetong-Artikel)

Julia Jacklin – Don’t let the Kids win

Die Neuentdeckung des Jahres und meine Entdeckung des Herzens (und hoffentlich bald aller Herzen) ist die 26-jährige Australische Singer-Songwriterin Julia Jacklin. Ihr Debütalbum handelt vom Erwachsenwerden, von Kindheit, von den Problemen und Sehnsüchten erwachsener Frauen. Zwischen altcountry-anmutenden Songs, gibt es auch ganz poppige Nummern. Im titelgebenden Song „Don’t let the Kids win“ heißt es dann auch “I’ve got a feeling that this won’t ever change. We’re gonna keep on getting older, It’s going to keep on feeling strange” und trifft damit zielsicher ins Herz der Generation Y, und ja, womöglich jeder anderen Generation. (Klick mich)

Kino / Filme

Toni Erdmann

Maren Ades Film sollte in Cannes eigentlich alle Preise abräumen – hat er aber nicht und so richtig verstehen will das immer noch keiner. Ades grandios erzählte Geschichte vom streichespielenden Vater, der seine workaholische Tochter in Bukarest besucht, ist irre komisch und berührend zugleich und zeigt endlich einmal, dass deutsche Komödien mehr sein können als unlustige Schweighöfers und Co. (Klick mich)

The Lobster (auf DVD erschienen)

Frau läuft die Straße entlang, alleine. Frau wird vergewaltigt. Frau läuft mit Mann die Straße entlang. Vergewaltiger verzieht sich lieber. So oder so ähnlich funktionieren die Indoktrinierungsmaßnahmen im Hotel, im auf DVD erschienenen „The Lobster“ von Giorgios Lanthimos, in das man ziehen muss, wenn man Single ist. Die dystopische Welt, in der dieser Film spielt, erlaubt keine Singles. Binnen fünfundvierzig Tagen müssen die Protagonist_innen eine_n Partner_in gefunden haben, ansonsten werden sie in ein Tier verwandelt. Colin Farrell als David entscheidet sich für den Hummer – die werden hundert Jahre alt, können sich immer paaren und haben blaues Blut. Ein absurdes und fesselndes Filmerlebnis. (Klick mich)

Serien

Good Girls Revolt

Wer „Mad Men“ gesehen hat, wird die Hauptfigur Don Draper, genau wie ich, oft gehasst haben. Auch die anderen männlichen Figuren machen, was den Umgang mit Frauen angeht, keine bessere Figur. Nun schlagen die Frauen zurück. „Good Girls Revolt“ spielt in der Redaktion der Wochenzeitung „News of the Week“, wo Frauen als Researcher angestellt sind und nur Männer Artikel schreiben dürfen. Eine grandiose Reise durch die späten 60er und beginnenden 70er im aufregenden New York und eine popkulturelle Geschichtsstunde der Extraklasse. (Klick mich)

Stranger Things

Seit Juli dieses Jahres geistern die vier Kiddies (der fünfte wird zu Beginn der Serie sofort gekidnappt) durch die Medien und eroberten im Sturm die Herzen aller Zuschauer_innen von „Stranger Things“. Eine ordentliche Portion Grusel, Science Fiction und jede Menge 80er-Charme machten die erste Staffel der Serie zum Highlight vieler Bildschirme. (Klick mich)

Old but more than gold:

der die mann – Volksbühne Berlin

Herbert Fritsch ist ja eh der Meister der wortlosen Theaterstücke. Kein anderer vermag es das Publikum vor Lachen zum Weinen zu bringen und das ganz ohne Sprache – oder nunja – menschliche Sprache. Die Figuren springen und brabbeln durch das Stück – und was sie eigentlich machen? Sie stellen Texte des Autors Konrad Bayer dar (halt nur ohne Text). Text ist Rhythmus und Dialekt in Laute gepackt. Slapstickig ist das schon, aber eben großartig! (Klick mich)

Berlin Insider:

Favorite Bookshop: Buch Disko

Die „Buch Disko“ in der Pankower Florastraße ist ein Fest für all diejenigen, die Theater lieben und kleine Buchläden, mit sorgfältig ausgewählten Büchern, den großen vorziehen. Ausgewählte Neuerscheinungen teilen sich die Regale und Auslagen mit Klassikern und Texten rund um Film und Theater. Immer einen Besuch wert. Bestellen kann man übrigens auch – das geht nicht nur bei Amazon. (Klick mich)

Beitragsbild: Screenshot aus Clip zu Formation von Beyoncé (auf Visual Album Lemonade, 2016) aufgerufen auf vevo.com