„Ein Kampfplatz mit Brüsten“: Margarete Stokowski – Die letzten Tage des Patriarchats & Virginie Despentes – King Kong Theorie

Mit ein paar Wochen Abstand zueinander sind im letzten Jahr zwei großartige und doch sehr verschiedene feministische Bücher auf dem deutschen Markt erschienen. Im Hause foejetong wurden diese schon längst gelesen, jetzt nehmen wir sie unter die Lupe.

 

Margarete Stokowski – Die letzten Tage des Patriarchats, 2018, Rowohlt

„Flirten und Vögeln und Liebe“: Margarete Stokowski – Die letzten Tage des Patriarchats

Es gibt wenige deutsche Autorinnen, deren Texte ich so gerne und regelmäßig lese, wie jene Stokowskis. Noch viel wenigere Autorinnen schaffen so schöne Wortneuschöpfungen und bei noch viel wenigeren habe ich so viel Freude die Texte anderen Menschen laut vorzulesen, ob sie nun wollen oder nicht. Jeden Dienstagnachmittag klicke ich im Fünfzehnminutentakt eifrig diesen komischen Kreispfeil auf der linken Seite meines Browsers, bis sie endlich erscheint – die neue Stokowski-Kolumne.

Im Oktober des letzten Jahres ist bei Rowohlt eine Auswahl von Essays und Kolumnen aus den Jahren 2011 bis 2018 unter dem grandiosen Titel „Die letzten Jahre des Patriarchats“ erschienen. Bereits 2016 erschien Stokowskis Debüt „Untenrum frei“ im gleichen Verlag.

Unterteilt in zehn Kapitel verhandelt „Die letzten Tage des Patriarchats“ gesellschaftliche Diskussionen der letzten sieben Jahre unter machtkritischen und feministischen Standpunkten. Die Situation von Frauen* in Deutschland und Europa, fatale Körperbilder und Gewalt an Frauen* werden ebenso thematisiert wie fragwürdige DNA-Zusammensetzungsanalysen im Internet oder die mutmaßliche „Aufdeckung“ der realen Person hinter Elena Ferrante.

Die meisten der Kolumnen und Essays wurden bereits in der taz oder auf Spiegel Online veröffentlicht. Stokowski ergänzt diese durch Kommentare. Dabei werden die zeithistorischen Debatten noch einmal erläutert und der jeweilige Text in gesellschaftliche Diskurse eingeordnet. Auch die ein oder andere Leser(meist sic!)brief-Anekdote ist dabei.

[U]nd so wird man dann älter und erfahrener und erlebt allerlei verrücktes Zeug, und irgendwann hat man Schuhgröße 49 und redet Bullshit. Traurigste Metamorphose ever. Zum Beispiel bei Jens Spahn von der CDU.

Sympathisch ist auch, dass Stokowski einen sehr frühen Text mit in die Sammlung aufgenommen hat, den sie selbst als „richtig schlimm“ bezeichnet (sie hat Recht!) und damit ein solidarisches Zeichen setzt, Mut macht und ausdrückt, dass jede*r mal angefangen hat.

Für regelmäßige Leser*innen der Kolumnen „Luft und Liebe“ (taz) und „Oben und unten“ (SPON) ist wahrlich nicht viel Neues dabei. Großartig sind die Texte dennoch, auch beim Wiederlesen, was nicht zuletzt auch an den spannenden, schockierenden und durchaus unterhaltsamen Kommentaren liegt. Außerdem ist das Buch so schön, wie es sich da im Bücherregal an sein zwei Jahre jüngeres Geschwisterchen schmiegt!

Für Einsteiger*innen eine absolute Empfehlung zum Stokowski-Start, um danach, wie ich auch, jeden Dienstagnachmittag alle 15 Minuten Spiegel Online zu aktualisieren.

 

„Aus dem Land der Hässlichen und für die Hässlichen“: Virginie Despentes – King Kong Theorie

Virginie Despentes – King Kong Theorie, 2018, KiWi

Mit der Trilogie um den verarmten Pariser Plattenhändler Vernon Subutex hat Autorin Virginie Despentes auch den deutschen Buchmarkt erobert. Zuvor waren Übersetzungen ihrer frühen Romane zwar bei Rowohlt erschienen, aber erst mit „Das Leben des Vernon Subutex“ (2017-2018), großartig übersetzt von Claudia Steinitz, kam der fette Durchbruch und die unpassenden Houellebecq-Vergleiche noch dazu.

Letztes Jahr ist Despentes „King Kong Theorie“ in deutscher Neuübersetzung von Claudia Steinitz und Barbara Heber-Schärer erschienen (das Buch wurde 2006 in Frankreich erstveröffentlicht und im gleichen Jahr schon einmal im Berlin Verlag übersetzt). Ähnlich machtkritisch und natürlich feministisch wie Stokowskis Buch, kann auch Despentes „autobiographisches Essay“ verbucht werden. Allerdings wirkt Despentes deutlich radikaler, was zum einen an ihrer Wortwahl liegt (sie kommt direkt zum Punkt und erläutert für wen sie dieses Buch eigentlich schreibt: für die Hässlichen, die Frigiden, die schlecht Gefickten oder nicht Fickbaren, also kurz: all jene, die Despentes als vom Markt der tollen Frauen* ausgeschlossen verortet).

Die Prostitution war eine entscheidende Etappe, mich nach der Vergewaltigung wieder aufzubauen. Ein Unternehmen, mich Geldschein für Geldschein für das zu entschädigen, was man mir mit Gewalt gestohlen hatte.

Im längsten Kapitel des Buches verarbeitet Despentes ihre eigene Vergewaltigung durch drei Männer, die ihr als 17 jährige Frau widerfahren ist. Ihr Umgang mit dieser Gewalterfahrung ist mehr als überraschend: Despentes plädiert für einen weniger lebensbestimmenden Umgang mit Vergewaltigungen und schließt sich damit Camille Paglia an. Die durchaus umstrittene Autorin erklärt, dass Frauen* Vergewaltigungen als Gefahr akzeptieren müssten, die einfach zu deren Leben gehöre. Das Haus zu verlassen, bedeute damit sich der Gefahr auszusetzen. Wenn es einer Frau* dann passiere, dann solle man sich den Staub abklopfen und weitermachen.

Natürlich muss man nicht einer Meinung sein mit Paglia und Despentes, interessant ist ihr Ansatz aber auf jeden Fall. Und nach meinem überrumpelten Naserümpfen, hat mich ihre Position durchaus zum Nachdenken angeregt.

Despentes Streitschrift und die darin vertretenen nicht ganz glatten Positionen sind radikal, teilweise amüsant, teilweise unheimlich nervend – lesenswert sind sie aber allemal.

 

 

Virginie Despentes, King Kong Theorie, 2018
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz und Barbara Heber-Schärer
Kiepenheuer & Witsch
160 Seiten, Broschur, 10 €
&
Margarete Stokowski, Die letzten Tage des Patriarchats, 2018
317 Seiten. Rowohlt, 20 €
Wir danken KiWi und Rowohlt für die Rezensionsexemplare!