Ich wünsch‘ mir, dass die BRAVO pleitegeht

Margarete Stokowski im Gespräch mit Doris Akrap über ihr Buch „Untenrum Frei“, Sex, Macht und „Fuck-You-Anwärter_innen“

„Wir alle haben Momente, in denen wir stark sind, und solche, in denen wir schwach sind. In den schwachen Momenten neigen wir dazu, unsere Haltung hinter einen Satz zu schieben, der mit „eigentlich“ anfängt, und dabei zu vergessen, was unsere Handlungsmöglichkeiten wären, das heißt, was unsere Freiheit ist. Für diese Momente hilft es, eine Poesie des „Fuck you“ zu entwickeln und in sich zu tragen wie ein Mantra.“
Dieses Zitat stammt aus dem Kapitel Eine Poesie des „Fuck You“, welches Stokowski am Abend auch vollständig liest, sichtlich angepisst, bei der Schilderung von Situationen, in denen Frau_ nur angepisst sein kann. Dennoch – das Publikum ist amüsiert und gerührt zugleich, denn so ernst die Themen auch sind, die Stokowski schildert, ihre Art des Schreibens ist ein Arschtritt für all‘ jene, die meinen, der Feminismus sei spaßbefreit.

Generell ist die wahnsinnig gut besuchte Veranstaltung recht unterhaltsam. Eine „Buchparty“, wie Moderatorin und taz-Autorin Doris Akrap sagt. Dennoch weiß jede_r wofür sie_er da ist und um das zu besprechen, „[…] muss man Grundlagen schaffen – Grundlagen schafft man am besten mit Alkohol“, so Akrap. Deswegen werden auch erst einmal zwei Gläser Weißwein für die Referierenden bestellt und der polnische Wodka auf den Tisch gestellt, um bei jedem „schmutzigen“ Wort eine Runde mit dem Publikum zu trinken. Es gibt zwar nur 15 Becher – aber naja, das sei ja eh total taz-mäßig gemeinsam aus einem Becher zu trinken, so Stokowski.

Es gibt viel zu besprechen, so geht das Gespräch eine Weile recht durcheinander, springt von einem Thema ins nächste, ist deswegen aber nicht weniger wichtig. Akrap sei aufgefallen, dass fast alle Rezensionen zu Stokowskis Buch von Frauen geschrieben wurden und diese in ihren Beschreibungen fast alle erwähnen, Stokowski sei „irre klug“, habe Philosophie studiert und Autor_innen wie Adorno „sogar gelesen“. Als Stokowski diese beiden Aussagen mit WhatsApp-Partyknalltüten bewerten soll, beteuert sie, dass sie fast nur Frauen rezensiert haben, sei 5 Partyknaller wert. Ihr Buch sei kein „Frauenthema“ und wenn das Publikum wüsste, wie sehr sie kämpfen musste, kein rosa Cover zu bekommen…“. Dass sie und ihre Leistung respektiert werde, sei 7 Partyknaller wert. Akrap und Stokowski sind sich allerdings einig, dass es schon auffällig sei, dass bei einem Mann nie betont werde, er habe Adorno wirklich gelesen.

Die Rolle der Frau in der Gesellschaft ist nicht so klar, wie wir glauben. Frauen können wählen, sie können studieren und sie haben ein Recht auf Abtreibung. Dennoch bekommen Mädchen Tipps von Zeitschriften wie der BRAVO, Jungs würden es mögen, wenn man sich verträumt die Haare zwirbelt, während man sie leicht von unten ansieht. Und Frauenzeitschriften proklamieren Blow-Job-Anleitungen, als sei die sexuelle Zufriedenstellung der Männer, die einzige Aufgabe, die man habe und die habe man gefälligst richtig zu machen und dabei können schon einmal die Tränen kommen, während man den Würgereiz unterdrückt. Es sind diese unbequemen Bilder, die Stokowski in ihrem Buch aufdeckt und sich wünscht die BRAVO möge endlich aussterben, denn „Alter, es ist scheiß 2016 und sowas geht nicht“, wie sie im taz Café beteuert.

Wir können uns nicht untenrum freimachen, sprich sexuell befreien, wenn wir obenrum nicht frei sind, sprich unser Verständnis von uns selbst und anderen, von konstruierten Geschlechterrollen und Machtverhältnissen nicht hinterfragen, so die Kernthese des erzählten Sachbuchs Stokowskis. 978-3-498-06439-6
Man muss darüber reden, dass hier etwas schiefläuft, dass es nicht normal ist, dass die Autovermietung Sixt mit einer Frau wirbt, die an der Kühlerhaube leckt. Nackte Frauen stehen mittlerweile so sehr für Sex, dass man es verwechselt. Es sei ein Fehler im System, dass Firmen mit einem Frauenbein werben und jeder*m sofort leuchtet „Ding, Dong, hier geht’s ums vögeln“.

Stokowskis Buch ist gleichzeitig wahnsinnig komisch und zutiefst bedrückend. Es ist eindrücklich in der Alltäglichkeit der Beispiele, die sie anbringt, damit Debatten um Feminismus auf den Teppich holt und gleichzeitig zu verstehen gibt – Leute, das sollte so nicht laufen. Es gibt Alternativen. Es sind persönliche Geschichten, die sie schildert. Sie machen uns klar wie nötig dieses Buch ist und dass schweigen nie eine Option ist. In sieben grandiosen Kapiteln handelt Stokowski kolumnenhaft ab was uns (und damit meine ich alle Menschen) daran hindert uns obenrum frei zu machen und wie dies gelingen kann. Anarchie ist ihre Antwort. Aber nicht jener Anarchismus, der als Chaos propagiert wird, sondern jener, bei dem nicht von oben nach unten regiert wird, sondern auf einer Ebene. Eine Gesellschaftsform in der jeder Mensch unabhängig von Geschlecht, Körper, Aussehen, Hautfarbe und sexueller Orientierung die gleichen Rechte besitzt.

Aber Moment mal: wir leben in „Zeiten von Heiko Maas und Manuela Schwesig“, Zeiten in denen Sexismusdebatten bis in die Politik geführt werden und versucht wird Lösungen zu finden. „War Feminismus je so einfach wie 2016“ lautet die berechtigte Rückfrage Akraps. „Nein, wahrscheinlich nie“, so Stokowski, aber dennoch sei es nicht unbedingt geiler. Jedes Jahrzehnt habe seine Erfolge und Rückschritte. Das jetzige Jahrzehnt, geprägt von Terror und Unsicherheit der Menschen, bringe Rückschritte wie die AfD zutage, die eine scheinbare Sicherheit vermitteln, die eben an alten Rollenmodellen festhält. Sie seien eben aber nur eine vermeintliche Sicherheit.

Und wenn man glaube, man brauche heute keinen Feminismus mehr, antwortet Stokowski in ihrem Buch gerne mit der Gegenfrage:

Wenn du glaubst, dass wir keinen Feminismus mehr brauchen, heißt das, du glaubst, das hier ist der Endzustand? Der Rest ist irgendwie natürlich, und göttlicher Wille bedingt die sieben Prozent Lohnunterschied, weil sieben eine heilige Zahl ist? […] Ich will nicht, dass Olympe de Gouges ihren Kopf dafür hergeben musste, dass wir uns heute umschauen und sagen: Mehr geht nicht. Wir würden damit alle verarschen, die uns hierhergebracht haben […]. […] Also machen wir weiter, und wir brauchen keine Erlaubnis dafür. Es ist das „I need no permission, did I mention“ von Beyoncé, das „You don’t own me“ von Lesley Gore, oder ihr „It’s my party, and I’ll cry if I want to.“

Oder es ist das „When they go low, we go high“ von Michelle Obama. Denn es scheint, als habe sie die Poesie des „Fuck-Yous“ komplett verinnerlicht, wenn sie dem größten „Fuck-You-Anwärter“ des Jahrzehnts mit ihrer Rede vom 13.10.2016 in New Hampshire, gehörig in den Arsch tritt. „Enough is enough“.

„Und weil ich vor Jahren noch gesagt hätte, ich würde mich nie in die Nähe einer Motorsäge bewegen, und inzwischen am Ofen sitze, in dem das Holz der Bäume brennt, die ich vor zwei Jahren gefällt habe, weiß ich: Zeiten ändern sich, und es ist möglich, das Alte zu Fall zu bringen“

 

 

Harte Fakten:
Buch: Margarete Stokowski: Untenrum frei. Rowohlt, Reinbek. 256 Seiten, 19,95 Euro.
nächste Lesungen: 26.10.2016 20.00 Uhr in Berlin, 17.11.2016 in Köln, 06.12.2016 20.00 Uhr in Göttingen

Foto: Esra Rotthoff

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