Vom großen und vom kleinen Stück Stoff

Die Ausstellung „Cherchez la femme“ im Jüdischen Museum trifft ins Herz der „Burka-Debatte“ und lässt endlich auch einmal Frauen* zu Wort kommen

„Wir sind nicht Burka“ stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einer Art 10-Punkte-Katalog der „deutschen Leitkultur“ heraus. Ein Satz, für den er gerechterweise viel Kritik erntete. Was de Maizière mit diesem Satz ausdrückt ist, dass wir, die Deutschen (weiß und männlich dominant) für vermeintliche Freiheitlichkeit stehen, die einen vermeintlich radikalen Islam (zu dessen Symbol die Burka stilisiert wurde) und dessen Gefahr für die Demokratie ablehnen. Was es aber auch impliziert ist, dass die deutsche, westliche Identität sich über die Ablehnung des Anderen und Fremden konstituiert. Die deutsche Identität, die „Leitkultur“ braucht somit zur Sicherung der eigenen Position das Andere – nur so kann das Eigene konstruiert werden. Das Andere ist hier, da die Burka ja ein weibliches Kleidungsstück ist, die Muslima: die fremde Frau, das „orientale“ „andere Geschlecht“. Als hätten die Kurator_innen Miriam Goldmann und Naomi Lubrich das erneute Aufkeimen dieser absurden Debatte geahnt, treffen sie mit der Ausstellung „Cherchez la femme“ direkt ins Herz dieser Diskussionen und geben endlich einmal „betroffenen“ Frauen* das Wort. Das wurde ja auch Zeit.

Cherchez la femme – das bedeutet wörtlich übersetzt „Suchen Sie die Frau“ oder „Sucht die Frau“. Umgangssprachlich bedeutet es aber auch „Da stecken doch Frauen dahinter“. Dieses Spiel mit dem „da haben Frauen was ausgeheckt“ oder „unter all diesem Stoff steckt eine Frau“ verdeutlicht schon ganz gut auf welch‘ gefährliche Diskussion sich die Kurator_innen des Jüdischen Museums sich mit dieser Ausstellung eingelassen haben.

Das Haar und der weibliche Körper ist noch immer ein Träger verschiedenster sexuell, religiös und politisch aufgeladener Codes. Denn während die deutschen Politiker [sic] noch vergeblich nach Frauen in Burka suchen, denen sie diese verbieten können, haben auch Muslimas ganz unterschiedliche Meinungen zum Kopftuch, der Burka oder anderen Zeichen religiöser Zugehörigkeit. Die Ausstellung beschäftigt sich aber natürlich nicht nur mit den Kopfbedeckungen des Islams, sondern auch des Judentums, Christentums und anderen religiösen Gruppen. Am Eingang der Ausstellung erwartet d_ Besucher_in ein Parcours an Kopfbedeckungen der drei großen Weltreligionen – von jüdischem Scheitel, über Ordenskleider der Nonnen, verschiedener Trageformen des Kopftuchs bis hin zur Burka. Dass es wichtig ist, diese Unterscheidungen und Formen des religiösen Ausdrucks noch einmal zu präsentieren, zeigt beispielsweise das Nichtwissen, was eine Burka eigentlich ist (Passenderweise zeigt Bild Online bei der Zusammenfassung der de Maizièreschen „Thesen“ eine Frau in Niqab und Tschador und untertitelt mit „Eine Frau in einer Burka auf dem Odeonsplatz in München.“).

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Ausstellungsansicht: Verschiedene Kopfbedeckungen und Verhüllungen

 

Neben vielen Erklärungen der Herkunft und Gebote dieser Kopfbedeckungen und Verhüllungen in den verschiedenen Religionen, zeigt die Ausstellung auch zeitgenössische künstlerische Positionen zu eben diesen Debatten. Die Videoarbeit „Undressing/Soyunma“ von Nilbar Güreş von 2006 zeigt die Künstlerin dick eingepackt in unzählige Lagen Stoff und Kopftücher. Auch ihr Gesicht ist von einem hautfarbenen Tuch verdeckt. Während sie Lage für Lage ablegt, nennt sie die Namen der Frauen ihrer Familie. Nilbar Güreş reflektiert damit die Situation muslimischer Frauen in Österreich, wo Trägerinnen des Kopftuchs oft zu willenlosen und stummen Opfern ihres Glaubens stilisiert, reduziert und damit entpersonalisiert werden.

In einem Videoloop aus verschiedenen Interviews, Polittalks und Youtubevideos wird die Schwierigkeit bei der Positionierung in dieser Debatte deutlich. Muslimas mit und ohne Kopftuch plädieren für die eigene Entscheidung, Muslimas mit Kopftuch sehen dieses als durchaus demokratisches Zeichen ihrer Religionsfreiheit, während Youtuberinnen zeigen, wie das Hijab am besten gebunden wird und muslimische Frauen ohne Kopftuch, dieses als Zeichen der Unterdrückung stilisieren. Wichtig an dieser Arbeit ist, dass es Frauen islamischer Wurzeln und islamischen Glaubens sind, denen eine Stimme gegeben wird und die Möglichkeit sich in dem Trubel um Ablehnung und Zustimmung auch einmal selbst zu positionieren. Wie wichtig dies ist, zeigt die Wand mit Zeitungsüberschriften rund um die Burkadebatte und das temporäre „Burkiniverbot“ in Frankreich. Daneben zeigt eine Tafel die Länder der Welt, die entweder die Verschleierung der Frau verbieten oder über dieses Verbot diskutieren, während Länder wie der Iran die Verhüllung des weiblichen Körpers vorschreiben. Dabei wird deutlich, dass Diskussionen über ein Verbot ebenso sexistisch und diskriminierend sind wie die Vorschrift des Tragens. Denn die Menschen, die darüber entscheiden, sind meistens nicht weiblich.

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Die Karikatur von Malcolm Evans ist ein Bestandteil der ausgestellten Pressetafel. Copyright: Malcolm Evans

Cherchez la femme ist eine gelungene Ausstellung, die sowohl Spielräume in den Formen der Kopfbedeckungen jüdischer Frauen herausstellt, den christlichen Schleier ebenso thematisiert wie Hijabformen muslimischer Frauen und modische Repräsentationen moderner und modischer religiöser Frauen einbezieht. Die Ausstellung versucht dabei nicht eine Positionierung der Besucher*innen zu erzwingen. Tatsächlich spannt sie einen weiten Rahmen um die Debatten rund um feministische Symbole, Symbole der Unterdrückung sowie Codes religiöser Zugehörigkeit. Museale Artefakte bieten Informationen und zeitgenössische künstlerische Arbeiten zeigen verschiedene Positionen und Schwierigkeiten auf. Dass dabei diesmal nicht de Maizière das Wort hat, macht die Ausstellung umso besser.

 

Harte Fakten zur Ausstellung
„Cherchez la femme“ im Jüdischen Museum Berlin
Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin
Öffnungszeiten: Montag: 10–22 Uhr / Dienstag–Sonntag: 10–20 Uhr
Eintritt: 3 Euro ermäßigt und 8 Euro regulär
Zeitraum: Die Ausstellung läuft noch bis zum 2. Juli 2017

Titelbild: Ausstellungsansicht der Ausstellung Cherchez la femme. Filmstill der Videoarbeit „Undressing/Soyunma“ von Nilbar Güreş, 2006