Vaginalmonologe

Luisa Stömer und Eva Wünsch haben mit dem illustrierten Sachbuch „Ebbe & Blut: Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus“ eine höchst ästhetische Hommage an den Menstruationszyklus geschaffen.

Während Beyoncé sich in der Show der Grammy-Verleihungen als heilige, hochschwangere Madonna mit Nimbus stilisiert und damit die Mutterschaft, den Ursprung der Welt und Erziehung der Töchter zu starken Frauen in großartiger, selbstbewusster Beyoncémanier zur feministischen Leistung manifestiert, wird Mutterschaft auf der anderen Seite, von konservativen Gruppen als frauenpolitisches Ideal propagiert, das mit Empowerment recht wenig zu tun hat. Dem Motiv der Mutterschaft wird sich derzeit somit von verschiedenen Seiten bedient. Dennoch wird die Voraussetzung der Erschaffung von Menschenleben, das Menstruationsblut, gerne tabuisiert. In der Werbung ist das Menstruationsblut blau und in vielen europäischen Ländern wird auf schier unentbehrliche Hygieneartikel wie Binden und Tampons eine – ja, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen – Luxussteuer erhoben.
Der Menstruation hängt noch immer das Etikett des Schmutzes, Ekels und damit der Scham an. Ein Etwas, das Frauen schlechte Laune bereite und viel zu oft in Intensität, aber auch in Ausgeklügeltheit unterschätzt wird.
Dieses Image müsse verändert werden, beteuern die Grafikdesignerinnen Luisa Stömer und Eva Wünsch, die mit dem bebilderten Sachbuch „Ebbe & Blut: Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus“ eine sehenswerte, intelligente und ästhetische Hommage an die Regelblutung kreiert haben. Denn, so schreiben die Autorinnen, „es geht [hier] nämlich nicht um eine Schürfwunde am Knie, sondern um nichts Geringeres als die Wiege des Lebens. Und die ist sehenswert.“
Befreit von hochtrabendem Fachvokabular erklären die beiden nicht nur den Menstruationszyklus, auch die weibliche Anatomie wird erläutert und aufwendig bebildert, Verhütungsmethoden und deren Vor- und Nachteile vorgestellt, Krankheitsbilder beschrieben und auch der Schwangerschaftsabbruch wird thematisiert.

Damit die Schleimhaut aus der Gebärmutter rausbluten kann, sinkt die Konzentration der Geschlechtshormone Progesteron und Östrogen im Blut ab. Dies ist das Signal für die Zellen der Gebärmutterschleimhaut, sich zusammenzuziehen. […] Der ganze feine Aufbau der Schleimhautstruktur wird richtig schön zerstört. Das ist ein bisschen wie früher beim Lego, wenn man fein säuberlich den ganzen langen Nachmittag riesen Vorstädte gebaut hat, um sie abends triumphal brüllend und mit voller Hausschuhwucht zu zertreten.

Illustriert mit hochwertigen Collagen, lockt „Ebbe & Blut“ auf über 200 Seiten mit Lektüre über alle möglichen Funktionen der weiblichen Geschlechtsorgane.
Organe werden nicht einfach so abgebildet, sondern ebenfalls als einfallsreiche Collagen präsentiert. Zwei Frauenarme werden somit zu den Eileitern. Dennoch sind die Darstellungen korrekt und anschaulich.
Indem das Buch immer wieder mit Zitaten aus der Popkultur, dem Internet und dem privaten Freundeskreis gespickt ist, wird das Thema noch nahbarer für die Leser_innen, lässt eigene Erkenntnisse wiederentdecken und schafft einen Dialog, der in der Gesellschaft noch viel zu oft abwesend ist. Die Kapitelbetitelung („Einführen“, „Blutsauger & Menstruationsutensilien“) und der Schreibstil kommen zeitgenössisch daher und haben sich komplett von einem angestaubten Biologiebuchduktus befreit. Gut so.
„Ebbe & Blut“ ist ein Buch, für das man getrost als Lehrbuch plädieren sollte, ein Buch, das jede Mutter und jeder Vater seinen Kindern in die Hand drücken kann. Es ist vor allem ein Buch, das man ebenso als erwachsener Mensch lesen sollte, denn wow, ich hab echt noch was gelernt und das nach über einem Jahrzehnt Menstruationserfahrung.
Dennoch, bei der all‘ der berechtigten Blutzelebration, haben sich bei so einem (biologisch) urweiblichen Thema doch wieder patriarchalische Strukturen eingeschlichen. So schreiben die Herausgeberinnen bei der Erklärung der „freien Menstruation“: die freie Menstruation sei eine besonders effektive Methode um beispielsweise den Beckenboden zu stärken und rufen aus: „Go for it girl – sei der Chef über den Beckenboden!“ Ääähm – Entschuldigung? Da unten ist niemand Chef. Wenn, dann bin ich da am Werk und zwar als Chefin!
Mehrfach kann man über diese Formulierungen stolpern (oder sich gar nicht daran stören, klar). Schade.
Nichtsdestotrotz – „Ebbe & Blut“ ist wohl eines der ästhetischsten Sachbücher, das anschaulich, wissenschaftlich fundiert, aber nicht überheblich, dem weiblichen Menstruationszyklus in all seinen Facetten, seiner Raffiniertheit und Schönheit so viel Platz einräumt, wie er verdient. Lehrer_innen und Eltern, verbannt die Lehrbücher aus den 80ern, die in den Biologiezimmern und Teeniezimmern verrotten und schafft Platz für ein zeitgenössisches, unverkrampftes und einfach hübsches Buch, wie Luisa Stömer und Eva Wünsch es gestaltet haben.

Luisa Stömer und Eva Wünsch: Ebbe und Blut. Alles über die Gezeiten des weiblichen Zyklus. Gräfe und Unzer 2017, 240 Seiten, 24 €

Wir danken Gräfe und Unzer für das Rezensionsexemplar!

Beitragsbild: Ausschnitt des Buchcovers