Kitsch? – Von wegen! Ein Plädoyer für Jane Austen

Vor kurzem habe ich Northanger Abbey gelesen, das schwarze Schaf unter den Jane-Austen-Romanen. Während all ihre anderen vollständig erhaltenen Romane das Attribut „kanonisch“ erhalten, bewegt sich Northanger Abbey außerhalb des erlesenen Kreises. Um es mit den Worten der Literaturwissenschaftlerin Susannah Carson zu sagen: Northanger Abbey sei eben als Jane Austens erster verfasster Roman „not there yet“. Merkwürdig der Romanausgabe einen Essay beizulegen, der quasi sagt: Das, was du da gerade gelesen hast, ist ja okay, aber die anderen Romane sind viel besser! Noch schwieriger ist Carsons Begründung: Die Liebesgeschichte zwischen Catherine Morland und Henry Tilney sei nicht so überzeugend wie zwischen einer Elizabeth Bennet und einem Fitzwilliam Darcy.

Kein Wunder, dass Jane Austen vielen, die einen breiten Bogen um ihre Romane machen, als Rosamunde Pilcher des 19. Jahrhunderts vorkommt. Hier ein Bekenntnis: Ich lese gerne Jane Austen. Und das nicht wegen irgendwelcher romantischen Liebesgeschichten. Denn ganz ehrlich: Nicht einmal die Romane selbst nehmen diese ernst. Aber eins nach dem anderen.

Virginia Woolf über Jane Austen
In A Room of One’s Own geht Virginia Woolf auch auf Jane Austen und ihre Romane ein. (Bild: Wikimedia Commons)

Warum also immer wieder das Thema „Liebe“ in den Romanen? Wo bleibt die Abwechslung? Auf diese (ok, hier etwas plakativer dargestellte) Frage versuchte Virginia Woolf circa 100 Jahre nach Jane Austen eine Antwort zu finden. In ihrem Essayband A Room of One’s Own, in dem sie Anfang des 20. Jahrhunderts einer weiblichen Literaturgeschichte nachgeht, spricht sie vor allem von zwei Dingen, die Jane Austens Romane „beschränkten“: Ein fehlendes eigenes Zimmer und ein fehlendes Leben außerhalb des häuslichen Bereichs.

Stellen wir uns also folgende Situation vor: Du möchtest einen Roman schreiben, wirst aber dabei ständig unterbrochen – Rückzugsmöglichkeiten gibt es keine. Nicht einmal eine zehnseitige Hausarbeit könnte ich so schreiben, geschweige denn über zweihundert Seiten umfassende Romane. Das zweite Problem: Durch die gesellschaftlichen Geschlechternormen um 1800 ist es dir als Frau nicht gestattet, dieselbe Bildung wie Männer zu genießen, alleine zu verreisen oder dich am politischen Weltgeschehen zu beteiligen. Dein gesamter Erfahrungshorizont bleibt also auf das private Leben um dich herum beschränkt. Schwierig, in einer solchen Situation dem Universalthema „Liebe“ zu entkommen.

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Jane Austen, gemalt von ihrer Schwester Cassandra. (Bild: Wikimedia Commons)

Wie aber sieht dieses Thema in ihren Romanen konkret aus? Hier wird es spannend: Jane Austens Romane sind voller Witz, Ironie und Humor. Es ist schwierig herauszufiltern, was alles ernst gemeint ist, was nicht. Wer eins der Bücher aufschlägt, wird sich wundern, wie viel Parodie in ihnen steckt. Ein Roman, der mit „It’s a truth universally acknowledged that a single man in possession of a good fortune must be in want of a wife” beginnt, kann sich selbst nicht allzu ernst nehmen. Diese Mehrdeutigkeit lässt viel Spielraum für Interpretationen – und wie sich Jane Austens Romane interpretieren lassen wird in der Literaturwissenschaft immer wieder heiß diskutiert.

Man kann zum Beispiel Mansfield Park einfach als plumpe, prüde Liebesgeschichte lesen, in der sich die Protagonistin Fanny besonders tugendhaft verhält – und als Belohnung im letzten Kapitel ihren geliebten Cousin Edmund heiraten darf (nicht ohne Grund ist Mansfield Park der unbeliebteste unter den Austen-Romanen). Schaut man aber genauer hin, findet man im Plot viele Ungereimtheiten, welche die scheinbar unscheinbare Liebesgeschichte ins Wanken bringen. Zum einen sagt der Roman selbst, Fanny hätte auch mit dem geläuterten Casanova Henry Crawford glücklich werden können – und hebelt einfach so nebenbei das Konzept einer einzigen schicksalhaften „Liebe“ aus. Viel mehr noch: Die Literaturwissenschaftlerin Nina Auerbach sieht in Fanny einen glückaussaugenden Vampir, der auf Kosten anderer sein Happy Ending erhält.

Nicht einmal im vermeintlich romantischsten Jane Austen Roman Pride and Prejudice ist die Liebesgeschichte so einfach, wie sie scheint. Die aufgeweckte Elizabeth Bennet verliebt sich in den stolzen, reichen Mister Darcy, den sie zuvor noch wegen seiner Eitelkeit verurteilt hat. Die beiden heiraten – Ende. Aber warum verliebt sich Elizabeth in Darcy? Trotz aller Romantik verliert der Roman nie die harte ökonomische Realität des 19. Jahrhunderts aus den Augen. Denn heiraten die Bennet-Töchter nicht, gehen sie nach dem Tod ihres Vaters leer aus – vererbt wird im damaligen England nur an männliche Nachkommen. Daher ist Elizabeths Antwort auf die Frage – „I believe I must date it from my first seeing his beautiful grounds at Pemberley.“ – von ihr zwar ironisch gemeint, zugleich aber doch bittere Wahrheit.

Kitsch, plumpe Romantik und übertriebene Liebesschwüre sind bei Jane Austen also Fehlanzeige. Viel mehr entlarven die Romane „wahre Liebe“ (was auch immer das sein soll) als idealistisches Konstrukt, das in einer sozialen Welt nicht funktioniert. Zumindest ist das eine der Lesarten. Es gibt aber noch viele andere – denn in erster Linie sind ihre Romane eins: Trotz der scheinbar simplen Oberfläche erstaunlich vielschichtig. Also – wenn du das nächste Mal in einem Buchladen stehst und nicht weißt, was du kaufen sollst: Gib doch Jane Austen einfach mal eine Chance.