Zeitgenössischer Tanz meets archaisches Frauenbild

Am ersten Septemberwochenende feierte Sasha Waltz’ neues Stück „Women – ein choreographisches Ritual“ im Rahmen von Tanz im August Premiere – und lässt das Publikum irgendwo zwischen Faszination und Unverständnis zurück. Ein Versuch, den Abend Revue passieren zu lassen. 

Auf dem Höhepunkt von Sasha Waltz & Guests Tanzperformance Women schreiten Hohepriesterinnen, Innereien auf ihrem Kopf balancierend, durch den Raum, nehmen an Tischen Platz und legen ihre Hände ineinander. Eine Art Beschwörungsritual beginnt, die Frauen zucken, lächeln, schneiden Grimassen. Anschließend verleiben sie sich den Körper der jeweiligen Sitznachbarin ein, drehen ihre Haare auf Gabeln auf und schlürfen Wasser mit einem Löffel aus Körpermulden. Die nackten Tänzerinnen steigen schließlich auf die Tische, fügen sich skulpturartig zusammen und bilden mit Wasserkrügen und Tellern eine Art Springbrunnen, in dem sie das Wasser von der obersten zur untersten Tänzerin fließen lassen. Am Ende lachen sie hysterisch bis sich das Gelächter in ein Weinen auflöst.

Thema in Sasha Waltz‘ neustem Stück sind imaginierte Ritualhandlungen von Frauen. Dafür arbeitet die Choreographin erstmals nur mit Tänzerinnen. Als Kulisse der Performance dient die von Karl Friedrich Schinkel entworfene St. Elisabeth-Kirche in Berlin-Mitte. Erbaut im klassizistischen Stil erinnert sie mehr an einen antiken Tempel; der Innenraum ist beinahe quadratisch, das Mauerwerk der Wände freigelegt. Das Publikum positioniert sich entlang dieser Wände, dünne weiße Linien zeigen, wie weit man sich in den Raum hineinbewegen darf.

Zu Beginn der Performance betreten zur düsteren, basslastigen Elektromusik von Soundwalk Collective zwanzig Tänzerinnen in schwarzen oder beigefarbenden langen Kleidern den Saal. Sie tanzen gemeinsam in Formation, lösen diese wieder auf, scheinen sich in einem Moment zärtlich zu umarmen, dann brutal zu Boden zu werfen. Höhepunkt dieses Wechselspiels ist eine Szene, in der sich die Tänzerinnen auf allen Vieren, Hunden gleich, gegenseitig anknurren. Der Anblick erscheint manchmal skurril und unheimlich, manchmal unfreiwillig komisch.

Nach etwa zwei Dritteln der siebzigminütigen Vorstellung werden erst die Tische auf die Bühne gebracht, das Publikum darf näher herantreten. Nach eigener Aussage wurde Sasha Waltz zu diesem zweiten Teil der Performance durch Judy Chicagos feministische Installation The Dinner Party (1979) inspiriert. In dieser sind Tische zu einem Dreieck zusammengestellt, die für 39 mythische und historische Frauenfiguren gedeckt wurden, u.a. für die babylonische Göttin Ištar, die römische Kaiserin Theodora, Sacajawea oder Virginia Woolf.

Circe-Invidiosa_John-William-Waterhouse
Die Szenen in „Women“ erinneren an Bilder der Präraffaeliten wie hier John William Waterhouse mit „Circe Invidiosa“ (1892).

Durch diese Referenz und durch den Titel knüpft die Performance an die feministischer Kunst an. Statt allerdings eine moderne Idee des Feminismus umzusetzen, zeigt Women eine romantisierte Vorstellung des „Weiblichen“. Hohepriesterinnen, geheime Rituale und eine ureigene Naturverbundenheit erinnern eher an Bilder der Romantik oder Präraffaeliten als an Judith Butler. Mal als Heilige, mal als wildes Tier dargestellt, bleibt Weiblichkeit im Laufe der Performance durchgehend schön. Es ist ironisch, wenn in einem Stück namens Women diversere Frauenkörper zu sehen sind, während die Bühnenassistentinnen die Tische in den Saal tragen, als im Laufe der Tanzperformance.

Zugegeben: Es herrscht dank sakraler Kulisse, unmittelbarer Nähe zu den Tänzerinnen und düsterer, elektronischer Musik eine spannende Atmosphäre. Tänzerisch wie auch szenisch gibt es einige starke Momente. Aber was die Darstellung der Frauen angeht, wirkt Women trotz Referenzen auf die feministische (moderne) Kunst merkwürdig aus der Zeit gefallen.

Titelbild: Ute & Luna Zscharnt, Pressefoto