We don’t need another Hero!

Die 10. Berlin Biennale trumpft mit dekolonialem Ansatz und der Dekonstruktion eines westlich und weiß* dominierten Kunstkanons.

„They just put that down brick by brick and brought it here?” fragt der Protagonist, der in der AdK gezeigten Ein-Kanal-Installation „IT’S IN THE GAME ‘17 or Mirror Gag for Vitrine and Projection“ von US-Künstlerin Sondra Perry, während er sich im Londoner British Museum gerade die Exponate ansieht. Die Stimme im Off dazu: „Yeah, that’s wild, right? That’s wild”. Die Erwiderung: “No, let’s say that’s….f*****”.

Diese Videoarbeit beschreibt sehr gut, worum es auf der 10. Biennale, kuratiert von Gabi Ngcobo und ihrem 4-köpfigen kuratorischen Team of color, zu gehen scheint. Es werden Fragen um koloniale „Errungenschaften“, die ganz selbstverständlich in „unseren“ Museen liegen, aufgeworfen. Es geht um Machtachsen, Blickhierarchien. Um „westliche“ Kunst im Kunstmuseum und „nicht-westliche“ Kunst im ethnologischen Museum. Es geht im weitesten Sinne auch um das Humboldt-Forum, um den Aufbau der „Neuen Mitte“ in Potsdam, um die Lüderitzstraße in Berlin Wedding.
Sie alle zeigen Heldenmythen auf, die noch immer existent sind und die es zu zerschlagen gilt. Die 10. Berlin Biennale bietet einen gelungenen Ansatz.

Es sind nur wenige fest im internationalen Kunstmarkt etablierte Künstler_innen zu sehen. Die meisten der gezeigten Arbeiten stammen von Künstler_innen of color, die sich mit dekolonialen Ansätzen beschäftigen und dem Wirken des Imperialismus und der „westlichen“ Kolonialgeschichte bis in die Gegenwart.

An fünf Ausstellungsorten wie dem Biennale-Geburtsort der Kunst-Werke, der Akademie der Künste (dieses Mal allerdings jene auf Westseite am Hanseatenweg), dem ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik (als neuer Biennale-Ort im ehemaligen Güterbahnhof Moabit), dem Pavillon an der Volksbühne (wahrscheinlich auch kein Zufall, gerade diesen Pavillon nach der Volksbühnendebatte mit dekolonialen Performances zu bespielen) sowie dem Hebbel am Ufer, liefern diverse Künstler_innen intersektionale, queere und in jedem Fall dekoloniale Kunstansätze.

Unbedingt sehenswert ist da beispielsweise Dineo Seshee Bopapes „Untitled (Of Occult Instability) [Feelings]“. Ein raumgreifendes Environment, das die große Halle im Erdgeschoss der KW füllt.

Installationsansicht: Dineo Sheshee Bopape, Untitled (Of Occult Instability) [Feelings], 2016, KW Berlin

Die Besucher_innen durchwandern hier einen Parcours verschiedener Destruktionsstufen. Es knirscht unter den Füßen, während man durch die in gelb-rotes Licht getauchte Halle läuft. Trümmerhaufen aus zerschlagenen Ziegelsteinen, Rohren mit abgerissenen Kabeln, Tonnen und Eimer, in die von der Decke rinnendes Wasser tropft und diese Hitze – denn, das sollte man wissen, die KW sind nicht klimatisiert. Im Hintergrund dröhnt ein Bass, durchmischt mit der eindringlichen Stimme Nina Simones. Die südafrikanische Künstlerin beschäftigt sich hier mit der Intersektion von Literatur, Musik, Wahnsinn und Kolonie, sexueller Gewalt und Zerstörung.

Die Akademie der Künste bietet verschiedenste und durchaus abwechslungsreiche Arbeiten, die die Folgen von Kolonialismus und Ausbeutungspraktiken, die sich bis in die Jetztzeit ziehen (Stichwort Zuckerproduktion, Kaffee- und Kakaoanbau) untersuchen.

Die großartige Installation „Toli Toli“ (2018) von Minia Biabiany beispielsweise beschäftigt sich mit Narrativen Guadeloupes, die durch imperialistische Interventionen im Begriff sind zu verschwinden. „Toli Toli“ ist dabei ein traditionelles Kinderlied, das immer wieder erklingt, während im Video der traditionellen Flechttechnik von Fischreusen nachgespürt wird. Diese Fischreusen bilden ebenfalls das Environment, das die Besucher_innen durchwandern. Sie werfen Schatten auf den Boden, auf die Besucher_innen, die diese Schatten mit ihren Bewegungen durchkreuzen und verändern. Biabiany macht die Besucher_innen somit nicht lediglich zu Beobachtenden, sondern Agierenden.

Dazwischen scheint immer wieder Bambus aus dem Holzboden der AdK zu sprießen. Sara Haqs Arbeit „Trans:plant“ (2018) holt das Außen nach Innen und spielt mit der Gartenanlage vor den Fenstern des Ausstellungsraums. Der Kunstraum wird somit geöffnet, eine Unabgeschlossenheit suggeriert, die im Falle der Biennale auch für das Aufbrechen des westlichen visuellen Kanons gesehen werden kann.

Auch der mir bis dato noch unbekannte Ausstellungsort des ZK/U trumpft mit tollen Arbeiten. Zum einen bietet der Ort mit den leicht schrammeligen (und ebenfalls unklimatisierten!) Hallen einen documenta-Effekt, der Spaß macht, zum anderen sind die gezeigten Arbeiten wirklich spannend.

Die ägyptische Künstlerin Heba Y. Amin erschafft mit ihrer Arbeit  „Operation Sunken Sea (The Anti-Control Room)“ einen utopischen Superkontinent aus Afrika und Europa: Atlantropa. Eine Videoinstallation zeigt Amin als Staatsoberhaupt dieses Superkontinents. Während einer fiktiven Konferenz legt sie die Möglichkeiten und Ziele Atlantropas dar: Ein Kanal zwischen Kapstadt und Berlin könnte für leichteren Handel sorgen, Kriege und Terrorismus wären passé. Eingerahmt wird die fiktionale Konferenz durch reale historische (britischer Außenminister Eden zur „Sueskrise“ und ägyptischem „Führer“ Nasser) oder weniger historischen (Erdogan, Xi Jinping), die ebenfalls mit größenwahnsinnigen Ideen spielen, mit imperialistischen, die allerdings anders geartet sind als jener Größenwahn der Künstlerin.

Installationsansicht: Sara Haq „Trans:plant“ (2018), Akademie der Künste

Die 10. Berlin Biennale ist so vielschichtig, dass die Werke an einem Tag kaum zu fassen sind. Für Menschen, die bisher noch so gar nichts mit postkolonialer Theorie und Kunst am Hut hatten, empfehle ich auf der Website eine Tour zu buchen. Allen anderen empfiehlt sich mit der Akademie der Künste und dem Z/KU zu starten, die für mich die interessantesten Werke und abwechslungsreichere Zusammenstellung dieser boten. Wer danach noch fit ist, sollte im KW zumindest die installative Arbeit von Dineo Seshee Bopapes im Erdgeschoss besuchen, ebenso wie die „Mastur Bar“ im Keller, die Klitoriskissen auf vibrierendem Podest mit Orgasmen über Kopfhörer und „I feel Love“ von Donna Summer in Dauerschleife bietet (richtig bespielt wird die Bar am 14.06.18 ab 21 Uhr).

Die Biennale bietet getreu dem Titel „We don’t need another Hero“ ein breites, diverses und dekoloniales Programm, das mitten ins Herz aktueller Debatten schlägt und durchaus gelungen ist. Leider sind meiner Meinung nach afrodeutsche und deutsch-türkische Positionen leider ein wenig zu kurz gekommen (abgesehen von der Quilt-artigen Videoarbeit Natasha Kellys, die sich mit verschiedenen Geschichten afrodeutscher Frauen auseinandersetzt und ein paar weiteren Arbeiten). Diese wären in der Verweigerung der deutschen Gesellschaft, sich mit der eigenen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen durchaus interessant gewesen. Ebenso sind südost-asiatische Positionen, wie beispielsweise vietnamesische Künstler_innen (leider wie immer) marginalisiert.

Nichtsdestotrotz kann man diesem ambitionierten und überaus gelungenem Projekt wohl nicht wirklich vorwerfen, nicht jede Position einbezogen zu haben. Denn wichtig ist diese Schau allemal und dadurch nicht weniger sehenswert.

 

 

Wir danken der 10. Berlin Biennale für die Presseakkreditierung!

 

Berlin Biennale 10 noch bis zum 09.09.2018!

 

Titelbild: Detail Firelei Báez „for Marie-Louise Coidavid, exiled, keeper of order,Anacaona“, 2018 (zu sehen in der Akademie der Künste)