Niemand wird Feminist*in um cool oder beliebt zu sein

Laurie Penny im Heimathafen Neukölln

Laurie Penny ist die britische und zeitweise lauteste Stimme des zeitgenössischen Feminismus. Mit ihrer antikapitalistischen Monographie „Meat Market. Female Flesh Under Capitalism“ von 2011 katapultierte sich die 30-jährige sofort an die Spitze des jungen Feminismus und stellt seitdem das langersehnte Sprachrohr der twentysomething „Frauen“ und auch „Männer“ in Westeuropa dar. Gestern hat die Autorin im Heimathafen Neukölln über die Lage des zeitgenössischen Feminismus diskutiert.

Mit dem 2014 erschienenen fünften Buch „Unspeakable Things. Sex, Lies and Revolution“ schloss sie an ihren Erfolg der vorangegangenen Texte an und legte 2016 mit ihrem Prosaband „Babys machen und andere Storys“ nach, welcher kurioserweise nur im Verlag Edition Nautilus auf Deutsch und nie in Originalsprache erschienen ist. Das mag sicher daran liegen, das Pennys deutsche Fangemeinde so groß ist, wie nirgendwo anders. Auch gestern Abend füllte Penny den gesamten Heimathafen Neukölln, als sie im Rahmen des 16. Internationalen Literaturfestivals Berlin über die Lage des gegenwärtigen Feminismus sprach. Einen Abend davor hatte sie bereits im Theater an der Parkaue aus ihrem neuesten Erzählband gelesen.

Eine Stunde Zeit um das Thema Feminismus zu diskutieren. Kein kleines Thema und daher keine leichte Aufgabe, was auch anfangs sofort von Penny selbst und der Moderatorin Amber Qureshi, die, wenn sie nicht moderiert, Lektorin und Autorin in New York ist, thematisiert wurde. „Genau, wir reden hier über das große Thema Feminismus, in einer Stunde, nur wir beide“. Diese Zeitbeschränkung ist dann doch zu spüren. Da Qureshi durch die Fragen rauscht, bleibt für weitere Ausführungen keine Zeit. Und auch bei den Publikumsfragen hält sich Penny deutlich zurück, ist recht wenig radikal in ihren Aussagen, denn sie weiß, für große Erörterungen bleibt keine Zeit – also lieber aufpassen, wie man sich ausdrückt. Das Gespräch verläuft fundiert, schlüssig, kratzt aber oftmals nur an der Oberfläche. Allerdings ist es, wie wir Penny von bisherigen Auftritten kennen, sehr persönlich und gekrönt von vielen Lachern.

Die erste Frage – Popfeminismus. Wie steht sie denn eigentlich zu Beyoncé & Co sowie Queen Beys Feminist-Banner bei den VMAs 2014? Eine Frage, die sie nicht so richtig hören will, denn sie hört sie zu oft. Jedes Mal, wenn es um Popfeminismus geht, werde sie auf Beyoncé angesprochen, oder Lady Gaga, zeitweise mal Miley Cyrus. Wie sollte sie aber, so Penny, als „like the whitest person in the entire world“ Beyoncé beurteilen. „I won’t judge Beyoncé – never“. Amüsanterweise wurde die Autorin einige Tage früher bereits von Jennifer Beck für die SPEX etwas Ähnliches gefragt. Da erlaubte sich Penny doch eine Antwort. Beyoncé fange den Zeitgeist auf die Sekunde ein. „Sie hört zu und weiß, was abgeht. Und sie realisiert, wann da draußen genug Leute versammelt sind, die auch wissen wollen, was abgeht, und bereit sind, ihr zuzuhören“.

Was sie auch nicht so richtig hören mag, sind die Argumente des Old-School-Feminismus, der Beyoncé und anderen Frauen, die gern mal Lippenstift auflegen, die Identität „Feministin“ versuchen streitig zu machen. Es gäbe keine bestimmte Art Feministin zu sein. „There is no specific way to act in the world as feminist person“. Sie sei cool damit, dass es viele Spielarten des Feminismus gäbe, dass jede_r die Möglichkeit Gender zu zeigen oder zu variieren habe und dass Feminist_in zu sein, eine Einstellung ist, eine Identität, die man sich zulegen kann. Und tatsächlich bekennt sich beinahe der gesamte Saal dazu Feminist_in zu sein, als Laurie Penny auffordert sich outend zu melden.

Auch bei der Publikumsfrage, wie Penny zur aktuellen „German“ Burkadebatte stehe, bleibt sie eher verhalten. Nur so viel „from one white woman to another“ – Das Patriarchat sei ein weltweites Problem und auch ein enormes der westlichen Welt. Sie wolle sich nicht anmaßen darüber zu urteilen, welche Kleidung für eine Frau der arabischen Welt die korrekte sei. Das mag einige sicherlich unbefriedigt zurücklassen, hatten sie sich einen radikaleren, unausweichlicheren Satz gewünscht. Penny schließt damit aber an die seit den 1990er Jahren im Postfeminismus und nun Post-Postfeminismus stattfindende Debatte an, dass es nicht die eine Frau gibt, mit den gleichen Problemen und dem gleichen Begehren, sondern, dass der Feminismus verschiedener Kulturräume, bedingt durch die verschiedenen Lebensbedingungen, natürlich verschiedenste Aspekte bürgt und dass es fatal sei, davon auszugehen, dass Frauen in anderen Kulturkreisen für die gleichen Dinge einstehen, wie beispielsweise in Westeuropa.

Der Feminismus sei ein stimmenvielfältiger und teilweise kontroverser Diskurs. Das Internet biete die Möglichkeit die verschiedenen Stimmen zu hören, zu vernetzen, aufeinander zu reagieren. Transfrauen, afroamerikanische Frauen, indigene Frauen haben heute so viel Zugang zur feministischen Debatte und Unterstützung wie nie, auch, weil sie sich leichter vernetzen können. Dennoch werden sie selten, so Penny, auf die Bühne gebeten um, wie sie an diesem Abend, über das Riesenthema Feminismus zu sprechen. Dabei sieht Penny die „marginalized voices as the totalizing voices“, denn die Unterdrückten wissen, so Penny, mehr über die Unterdrückenden als andersherum. Sie müssen mehr wissen.
Das Internet biete die Möglichkeit eines modernen feministischen Aktivismus. Märsche seien out, aber das sei okay, da sie sowieso faul sei. Ihr Aktivismus finde eher im Schlafzimmer statt, „but not the dirty kind“.

Zu diesem Aktivismus gehört, dass sie darüber spricht, wie verschieden die Auffassungen von Jugend und Alter in Bezug auf die Kategorien „Mann“ und „Frau“ seien. Eine Autorin, die mit 25 ein wahnsinnig cleveres und erfolgreiches Buch auf den Markt bringt, sei eben eine 25-jährige Autorin. Ein Autor hingegen, ist noch bis Ende 30 der „young, angry writer“. Frauen, so Penny, werden mit dem Druck erzogen, ihre Sachen schnell zu erledigen, damit genug Zeit bleibt für eine Partnerschaft und Kinder. Mit 30 ist es sowieso vorbei. Es scheint keine Alternative zu sein, einfach Künstlerin, Schriftstellerin oder Physikerin zu sein und dabei nicht die wichtigste Aufgabe in der Aufrechterhaltung einer harmonischen Familie zu sehen.

Dann ist die Stunde Feminismus-Talk auch schon vorüber und irgendwie leicht verwirrt von den vielen Fragen, den vielen Sprüngen, den vielen nicht ganz ausgeführten Antworten und vor allem von den Publikumsfragen, die meistens keine Fragen waren, sondern Werbung oder Anti-AfD-Werbung, verlässt man den Saal zwischen vielen diskutierenden (vor allem weiblichen) Menschen. Eines hat Penny ihren Zuhörer_innen aber definitiv mit auf den Weg gegeben, abgesehen davon, dass sie nicht an die Existenz Portlands glaubt. Es sei noch nie jemand Feminist_in geworden um cool oder beliebt zu sein. Es sei immer irgendwie nerdie und uncool und bedrohlich und oft habe man mit Anfeindungen zu kämpfen. Aber das Internet zeigt, wie auch diese Veranstaltung, dass man nicht allein ist. Die gegenwärtigen Zeiten sind gute Zeiten für den Feminismus und wir hoffen, dass das so bleibt.

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Titelbild ©: Basso Cannarsa / Luzphoto / Redux / Laurie Penny