Irgendwo klöppelt es auf Blech

„Der Mensch erscheint im Holozän“, inszeniert von Thom Luz, eröffnet die neue Spielzeit im Deutschen Theater und wird zur Geduldsprobe für die Zuschauer_innen

„Herr Geiser hat Zeit.“ Der fünfte Satz der späten Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ (1979) von Max Frisch und der letzte Satz der Inszenierung des Jungregisseurs Thom Luz. Dann fällt der Vorhang. Und irgendwie ist man erleichtert, klatscht umso erleichterter in die Hände, dass diese zähen 90 Minuten vorbei sind. Dass das Stück im Schneckentempo voranschreitet, zähflüssig-klebrig daherkommt, zeigt eigentlich wie grandios die Textvorlage getroffen ist – für einen Theaterbesuch allerdings nicht die beste Voraussetzung.

Herr Geiser ist ein ehemaliger Geschäftsmann, der sich im Tal des Schweizer Tessin zur Ruhe gesetzt hat. Mit seiner Frau hat er in seinem Haus im Tal schöne Jahre verlebt. Nach dem Tod seiner Frau lebt er alleine in der Abgeschiedenheit. Unaufhörlicher Regen und Sturm hat das Tal von der Außenwelt abgeschnitten. Teile des Berghangs sind ins Tal gerutscht.

Beinahe apokalyptisch droht das Tal unter Bergschotter begraben zu werden. Es gibt keinen Strom mehr. Kein Fernsehen. Kein Radio. Herr Geiser ist allein. Die Erzählung rankt sich um Einsamkeit und das Alter. Herr Geiser wird dement, ein Schlaganfall lähmt seine rechte Gesichtshälfte.
Es ist ein sehr musikalischer Abend, den Luz gestaltet hat. Eröffnet wird das Stück von einem Pianisten mit italienischem Dialekt, der bevor er sich ans Piano setzt, dem Publikum eine Einleitung in die Kulturgeschichte unterbreitet:

„Vom ersten Menschen, der einen Stein als Werkzeug ergriff, bis zum kunstvollen Steinschmied: 500.000 Jahre // Vom kunstvollen Steinschmied bis zum ersten Eisenschmied: 50.000 Jahre. // Vom ersten Eisenschmied bis zum Lokomotivführer: 5.000 Jahre. // Vom Lokomotivführer bis zum Überschalldüsenjäger: 130 Jahre. Und so weiter, und so weiter.“

Dann steigt der zweite Pianist im hinteren Teil der Bühne ein. Eine Tourist_innenführerin läuft mit einer Gruppe Menschen kreuz und quer über die Bühne und erhascht die ersten Lacher, als sie die Situation im Tal beschreibt, das so einsam ist, dass sich nicht einmal Wölfe, Füchse oder Adler dahin verirren. Schnell wird klug in die Situation eingeführt – es gab ein Unwetter, der Hang ist gerutscht, kein Strom, die Bewohner_innen sind abgeschnitten von der Außenwelt.
Zwei Mal wird Herrn Geiser, gespielt von Ulrich Matthes, das Wort abgeschnitten, bevor er ein drittes Mal anhebt und seine Geschichte erzählt. Einen erheblichen Teil des Stücks sitzt er schweigend mit dem Rücken zum Publikum und beobachtet das Treiben auf der Bühne. Irgendwann darf er doch sprechen.

Die Sätze sind toll, zitierwürdig – weil sie sich stark an Frischs großartigen Text halten. Das Ensemble spricht durcheinander Textfetzen und leitet so durch die Erzählung. Indem Luz Max Frischs Text collagiert, schließt er auch an die Textvorlage an, die von Collagen lebt, von Illustrationen der Lexikoneinträge und Listen, die Geiser auszuschneiden und an die Wand zu pinnen beginnt, um gegen seine Vergesslichkeit zu kämpfen.

Da gibt es 9 Arten von Donner, Bibelverse, die Aufzählung der Erdzeitalter und eben der Erinnerungsfehler, der der Erzählung den Titel gibt. Der Mensch erscheint nicht im Holozän, unserem jetzigen Zeitalter, sondern im Pleistozän. Auch dieser wirklich ausschlaggebende Erinnerungsfehler, kann im Stück nicht rüberkommen. Man wünscht sich, dass da eine_r im Publikum platziert ist, d_ die Fehler korrigiert um das Stück voranzutreiben.

Der Mensch erscheint im Holozän
Gespickt von Musik, und einer tollen, raumgreifenden Lichtinstallation, einem Lichtstrahl der reflektiert von Spiegeln, im Zickzack die komplette schlicht aber schön ausgestattete Bühne teilt, könnte das Stück eigentlich sehr schön sein und fast in brechtscher Tradition glänzen. Tatsächlich aber, bewegt es sich zäh.

Der eigentlich mehr als großartige Ulrich Matthes kann in seiner Rolle als Herr Geiser leider nicht an die gewohnte Großartigkeit anschließen, während Daniele Pintaudi als italienischer Pianist und Armand Schulthess (historisches Vorbild des Textes) sowie Judith Hofmann als verstorbene Frau Elsbeth und Franziska Machens als abwesende Tochter Corinne durchaus glänzen.

Thom Luz schafft es zwar, die Textvorlage gut umzusetzen. Es ist die Grundstimmung der Erzählung, die Luz, gespickt von Stückfetzen Beethovens, Bartóks und Bachs sowie italienischer Volkslieder, assoziativ aufgreift und durchaus auch trifft.  Man spürt die Einsamkeit, die Langeweile, das Vergessen. Für das Publikum wird dies allerdings zur Geduldsprobe, denn selten möchte man die Langeweile bei einem Theaterbesuch nachvollziehen können. Und dann liest man, dass Luz in Basel Thomas Manns „Der Zauberberg“ inszeniert hat und bekommt sofort Mitleid mit dem Publikum.

Während viele der Besprechungen durchaus positiv sind, sich allerdings auch sehr am Text festklammern, der ohne Frage ziemlich perfekt ist, raunzt Konrad Kögler auf daskulturblog.com „Der Mensch erscheint im Holozän“ ist ein sehr stiller Abend, der aber seinem Publikum viel zu penetrant ins Ohr raunt: „Schau mal, wie kunstfertig das alles ist!“ Das geht auf die Dauer über 90 Minuten doch ziemlich auf die Nerven.“
Mit dem Debüt Thom Luz am Deutschen Theater wird d_ Zuschauer_in zur_m Zeug_in von Einsamkeit, Trostlosigkeit, Verfall, Vergessen und dem Altern.  Und irgendwo klöppelt es auf Blech.

 

 

Harte Fakten zum Stück:

Der Mensch erscheint im Holozän nach Max Frisch
Regie: Thom Luz, Musikalische Leitung: Mathias Weibel, Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz, Kostüme: Sophie Leypold, Dramaturgie: David Heiligers, Licht: Matthias Vogel
Mit: Ulrich Matthes, Judith Hofmann, Franziska Machens, Leonhard Dering, Wolfgang Menardi, Daniele Pintaudi, Margitta Azadian, Mohammed Azadian, Martin Heise, Till-Jan Meinen, Sarah Maria Neugebauer, Valentin Olbrich, Nina Philipp, Thomas Reimann.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de

Bilder Copyright: Deutsches Theater und Arno Declair