Auf den Spuren einer Unbekannten: „Vivian Maier. In her own hands.”

Im Willy-Brandt-Haus lassen sich die Wege der Vivian Maier nachvollziehen – anhand wunderbarer Bilder. 

Vivian Maier hätte zu Lebzeiten durchaus Ruhm ernten, nicht arm sterben und mit den Großen der Kunst- und Kulturszene agieren können. Die Fotografien Vivian Maiers stehen jenen ihrer berühmten Zeitgenossinnen und Vertreterinnen sogenannter Street Photography, wie Arbus, Cartier-Bresson oder Schulze-Eldowy, in ihrem Detailreichtum Straßenszenen einzufangen in Nichts nach. Maiers Fotografien blieben aber lange unentdeckt. Sie entwickelte nur wenige der zahlreichen Filme, zeigte ihre Arbeiten niemandem und schlug sich stattdessen mit Putz- und Haushälterinnenjobs durch. Wahrscheinlich hätte nie jemand etwas mit dem Namen Vivian Maier verbunden, hätte John Maloof 2007 nicht den gesamten Nachlass bei einer Zwangsversteigerung erworben und ihn publik gemacht. Sich bewusst werdend, welchen fotografischen Schatz er da gefunden hat, schickt Maloof die Werke seit 2011 um die ganze Welt.

Bereits 2015 wurde ein großer Teil der Werke im Willy-Brandt-Haus gezeigt. Nun sind die Fotografien an die Wände der SPD Zentrale zurückgekehrt. Neben Schwarzweißfotografien sind auch Farbfotos und Super-8-Filme zu entdecken.

In scheinbar spontan eingefangenen Szenen hält Maier den Geist der amerikanischen Großstadt fest. Ihre Arbeiten zeigen Straßenszenen des New Yorks und Chicagos der 50er, 60er und auch der 70er Jahre und lassen die Betrachtenden auf eine Zeitreise gehen, gleichzeitig aber auch die Wege der Maier verfolgen. Auffallend ist dabei, wie aufregend Maier Details einfängt – wie der Unterrock aus Spitze, der unter dem im Wind flatternden Kleid herausschaut. Maiers Fotografien verraten stets viel über die gesellschaftlichen Normen und Regeln, innerhalb welcher diese entstanden sind. Viele Fotos, die Menschen von der Hüfte abwärts zeigen, zeugen zum Beispiel von Kindern, die sich (ausschließlich) an Frauenbeine klammern, während aus der Hosentasche der Männer eine Zeitung ragt.

Ausstellungsansicht, Vivian Maier. In her own hands., Willy-Brandt-Haus, Berlin, 2018.

Gelungen ist auch die Kuration der Bilder. In der Hängung werden phantasievolle Parallelen aufgemacht, die die Betrachtenden zum Imaginieren der Bildentstehung anregen. Sucht der Junge diese Puppe, die sich auf einer weiteren Fotografie im Mülleimer befindet?

Maier gelingt dabei stets der Spagat zwischen dem New York und Chicago des Großbürgertums, der Stars und dem der Marginalisierten. Die Ausstellung hebt diesen Aspekt gelungen hervor.

Warum Vivian Maier niemandem ihre Arbeit gezeigt hat, bleibt sicherlich ein Rätsel. Vielleicht hat sie sich für den Voyeurismus geschämt, der in diese Bilder zwar eingeschrieben ist, uns Betrachtenden der Nachwelt aber natürlich von enormem Wert ist. Vielleicht hat sie sich auch einfach unterschätzt und gefürchtet als Frau* nicht mitspielen zu können.

Die Ausstellung im Willy-Brandt-Haus beweist definitiv das Gegenteil. Maier war eine großartige Beobachterin, eine große Künstlerin und enorm spannende Frau*.

 

Ausstellung noch bis 6. Januar 2019 zu sehen
Willy-Brandt-Haus, Wilhelmstraße 140, 10963 Berlin
Dienstag bis Sonntag 12 bis 18 Uhr | Eintritt frei | Ausweis erforderlich
Schließtage: 14.10., 28.10., 23.-25.11, 24.-26.12.2018 / 31.12.2018 / 1.01.2019

Titelbild: Kontaktbogen, Chicago, 1961 ©Estate of Vivian Maier, Courtesy of Maloof Collection and Howard Greenberg Gallery, NY