Singsang gegen das Alte

Julian Rosefeldts Bewegtbildinstallation Manifesto wurde verlängert – und das zu Recht

Zugegeben – ein Ticket für die Sonderausstellungen im Hamburger Bahnhof ist nicht gerade ein Schnäppchen (8 Euro normal und 4 Euro ermäßigt). Die Ausstellung „Julian Rosefeldt – Manifesto“ ist aber jeden Cent wert. Weil nicht nur ich das erkannt habe, wurde die Ausstellung bis zum 18.September 2016 verlängert. Also schnell noch hin.

Beim Betreten des Raumes braucht man erst einmal eine Weile bis man sich an die Dunkelheit, die Lautstärke und die leuchtenden Bildschirme gewöhnt hat. 13 Filme. 12 Mal Cate Blanchett. Mal einfacher, mal schwieriger zu erkennen. Die Orientierung fällt schwer. Also zuerst einmal irgendeinen Bildschirm anpeilen. Die Beerdigungsszene an der linken Seite springt mir besonders ins Auge – also hingesetzt ohne über den Hocker zu stolpern. Cate Blanchett im Trauergewand. Schickes, schwarzes Kleid. Durch den löchrigen Schleier zeigt sich das Gesicht mit den rot geschminkten Lippen. Die Trauergemeinde scheint sich nicht beirren zu lassen, von der zuerst andächtigen Rednerin, die die Menge dann hin und wieder aufbrausend als „Idiots“ beschimpft. Kurz auf den Begleitzettel geschaut – aha, Dada. Plötzlich ertönt ein fast sakraler Gesang mit einer Intonation, wie wir sie sonst von Priester_innen kennen. Im Singsang, der gleichgeschaltet mit dem der anderen zwölf Bildschirme erklingt, verkündet die Protagonistin:

„No more painters, no more writers, no more musicians, no more sculptors, no more religions, […] enough of all these imbecilities, no more anything, no more anything, NOTHING, NOTHING, NOTHING, NOTHING“.

Dieser choral anmutende Singsang eint all die hier auf 13 Bildschirmen inszenierten Manifeste, bevor sich die Stimmen wieder im Raum verstreuen. Aus vielen Ecken des Ausstellungsraumes erklingt ein gleichzeitiges NO MORE, oder zumindest ein NO. Diese intelligent geschalteten Loops offenbaren, was die meisten Manifeste des 20. Jahrhunderts gemeinsam haben: die Ablehnung alter Systeme, alteingesessener Institutionen und angestaubter Kunst. Das NO MORE.

Der Künstler deckt damit Mechanismen der Manifestkultur der Avantgarde auf, die eher mit lauten Rufen und Gepöbel als mit wirklichem Umsturz einhergingen. Dennoch wirkt die Ausstellung nicht anklagend, sie macht sich nicht lustig. Sie nimmt lediglich ein wenig verbissene Ernsthaftigkeit weg.
Julian Rosefeldt, 1965 in München geboren, hat sich für die Ausstellung Manifesto den Filmstar Cate Blanchett ins Boot geholt. Nicht zum ersten Mal brilliert Blanchett in ungewöhnlichen Rollen. 2007 hatte sie in Todd Haynes I’m not there den jungen Bob Dylan gespielt. Für Rosefeldts Installation schlüpft sie in die Rollen der frommen Mutter beim Tischgebet, der sturzbetrunkenen Rockerin, der Puppenspielerin, Choreographin, Lehrerin oder Arbeiterin in der Müllverbrennungsanlage. Die wohl aufregendste und nicht minder gelungene Inszenierung Blanchetts ist die eines Obdachlosen, der von der Abhörstation auf dem Berliner Teufelsberg situationistische Manifeste in den Abgrund brüllt.

Rosefeldt nutzt Collagen verschiedener Manifeste, die er unter der Überschrift recht allgemeiner Genres zusammenfasst. Die Interpretation des dadaistischen Manifests stellt sich als eine Collage aus insgesamt 8 verschiedenen, zwischen 1918 und 1920 entstandenen, Manifesten heraus. Unter der Kategorie „Film“ tummeln sich Texte von Größen wie Werner Herzog, Jim Jarmusch, Lars von Trier und Stan Brakhage. Diese Collagen kommen eindringlich daher. Sie wirken.

Rosefeldt schafft es mit der Textzusammenstellung, seinen Metamanifesten, eindrücklicher zu sein, als die Verfasser_innen es vermochten. Die Verfasser_innen (der Gendergap in diesem Falle eher aus zeitgenössischer Aufgeklärtheit heraus) waren in den meisten Fällen nicht wenig chauvinistische junge Männer, die die Frauen in ihren Reihen nie zu Wort kommen ließen und ihnen meisten lediglich die Funktion als Muse zusprachen. Avantgardistische Künstler, aber auch egozentrische Kulturschaffende des 20. und 21. Jahrhunderts.

Indem Rosefeldt Cate Blanchett diese Texte vortragen lässt, gibt er auch den Frauen eine Stimme, die sie in diesen Bewegungen nie hatten. Er ermöglicht dadurch außerdem einen neuen Blick auf die kämpferischen Manifeste, die meist nur bei semantischem Kampf blieben. Mit ironischen Brüchen nimmt er den Texten Verbissenheit, Ernsthaftigkeit und vermag es den Fokus wieder mehr auf den Bezug zur Kunst zu lenken. Teilweise erscheinen die Szenarien, in die Rosefeldt die Protagonist_innen stellt durchaus passend, wie bei der Dada-Beerdigungsrede, die alles Alte begräbt. Andermal sind sie absurd, wie das Tischgebet der frommen Mutter, die für eine Kunst plädiert, die Hochkultur vom Sockel stößt und Alltagsgegenstände zur Kunst deklariert – die Pop Art.

Die Filme wurden in Berlin gedreht und zeigen skurrile Orte, die fragwürdige Architektur der Hauptstadt und dadurch auch den Charme Berlins. Die zeitgenössischen Orte und Szenen ermöglichen einen völligen neuen Blick auf die Manifeste des 20. und 21. Jahrhunderts und erlauben uns die Künstler_innen auch als Poet_innen und Visionär_innen wahrzunehmen und die ganz eigene Schönheit der Texte zu entdecken, ohne sich von den leicht verschrobenen, politisierten Inhalten abschrecken zu lassen.

Julian Rosefeldt ist eine überzeugende Arbeit gelungen, die von Udo Kittelmann und Anna-Catharina Gebbers kuratiert, auch enorm überzeugend daherkommt. Man sollte viel Zeit einplanen um sich die einzelnen Filme anzusehen (jeweils etwa 15-20 Minuten lang) und auch den Gesamteindruck der Installation auf sich wirken zu lassen. Diese Ausdauer lohnt sich aber auf jeden Fall.

 

 

Harte Fakten zur Ausstellung

Die Ausstellung ist noch bis zum 18. September zu sehen
Ort: Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Adresse: Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin
Das Museum ist vollständig rollstuhlgeeignet
Internetauftritt des Künstlers: http://www.julianrosefeldt.com/film-and-video-works

1 Kommentar

  1. Eine tolle Besprechung! Mein Favorit unter den Videoinstallationen ist Blanchett als Brokerin, die Marinettis Futurismus-Manifest vorträgt. Nicht nur, weil sich aus der Humboldt’schen Universitätsbibliothek eine 1A Börse zaubern ließ, sondern auch, weil Rosefeldt damit inhaltlich auf Marinettis Text rekurriert, der ja nichts geringeres als die Vernichtung der Bibliotheken fordert. Sehr clever!
    Unsere ausführliche Meinung zu „Manifesto“: http://www.zeilenspruenge.de/julian-rosefeldts-manifesto-das-abc-wollen-gegen-123-wettern

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