Sekt, Elektro und Żywiec Bier

Unterwegs auf der Berlin Art Week 2016

Ein sicheres Zeichen dafür, dass der Herbst nun endgültig eingeleitet ist, ist nicht nur, dass die herrlichen 30 Grad der letzten Spätsommertage der Vergangenheit angehören, nein, auch die Berlin Art Week ist der Startpunkt in den Kunstherbst. Kein Zufall also, dass viele der kleinen und auch großen Galerien, Museen und Kunsthäuser ihre vielversprechenden Eröffnungen in dieser Woche ansiedeln. Vier davon habe ich besucht und zwischen Schöneberger Schickeria und Weddinger Einfachheit eine ganze Menge mitgenommen. Ein Rückblick.

Erste Station. Christian Jankowski „Die Legende des Künstlers und andere Baustellen“ im „Haus am Lützowplatz“ in Tiergarten. Auf diese Ausstellung hatte ich mich besonders gefreut, verlässt man eine Jankowskiausstellung normalerweise nicht ohne Schmunzeln auf dem Gesicht. Der 1968 in Göttingen geborene Konzept- und Medienkünstler arbeitet auch hier mit Rollenspielen und Bewegtbildinstallationen, die die Verbindungen und Ambiguitäten zwischen Gesellschaft, Medien, Künstler_innen und Kunstinstitutionen aufzeigen. Die Ausstellung im „Haus am Lützowplatz“ beschäftigt sich mit der Frage wie ein_e Künstler_in zur Legende wird. Die Besucher_innen hangeln sich durch einen Parcours aus riesenformatigen Leinwänden, die Szenen aus dem Leben des Dortmunder Künstlers Martin Kippenberger zeigen, der mittlerweile tatsächlich Legendenstatus besitzt.

Die Leinwände bildeten die Kulissen des von Angela Richter am Schauspiel Köln inszenierten Stücks „Kippenberger! – Ein Exzess des Moments“. Jankowski bereiste dafür die Orte des Lebens Kippenbergers, fotografierte diese im heutigen Zustand und gab die Anfertigung der Kulissen Kippenberger-like bei Kulissenmaler_innen in Auftrag. Nun bilden diese das Labyrinth, durch das man sich in der Ausstellung bewegt. Irgendwann gelangt man zum Höhepunkt der Ausstellung – dem Film, man hatte ihn ja fast schon vermisst.

Eine fiktive Sendung namens „History“, die in 8 Stationen das Leben des Dortmunder Künstlers in nachgespielten Szenen aufbereitet. Die Szenen werden ironischerweise vor den Theaterkulissen gespielt. Eine Fiktion der Fiktion der Fiktion. Die Produktion, die Jankowski mit einem Team aus Singapur gestaltete, wirkt wie eine ZDF oder ARD Doku über Goethe, die immer wieder die Besonderheit der Spezies „Künstler_in“ unterstreicht und den Anfangspunkt der Genialität dieser Person zu ermitteln sucht.

Nicht weniger ironisch erhalten die 8 Sequenzen Titel wie „Die young and misunderstood during lifetime“ oder „Getting adopted by the rich and powerful“. Moderiert werden sie von einem kleinen Mann namens Professor Wilson Ng, der auch „X-Faktor: Das Unfassbare“ zum Erfolg gebracht hätte (sorry Jonathan Frakes) und Kippenberger bierernst als „the Frog King of the Black Forest“ bezeichnet. Jankowski erschafft damit eine Art History-Channel-Sendung, die sich Kippenberger Zeit seines Lebens gewünscht hätte. Dabei wirkt Jankowski selbst schauspielerisch mit, aber auch weitere namhafte Personen des Kunstbetriebs nehmen Rollen ein, eine davon zum Beispiel Sammlerin Julia Stoschek.

Dann sind da noch kleinformatige Werke, die virale, photographische Inszenierungen als Van Gogh, wieder in Ölgemälde verwandeln und ein Werbeclip, der während der Ausstellungsdauer auch in Programmkinos laufen wird. In Anlehnung an eine Arbeit des amerikanischen Künstlers Chris Burden, ergänzt Jankowski die Aufzählung verschiedenster Künstlerlegenden [sic] um seinen eigenen Namen und den Kommentar „Und später mal ein anderer Schlucker“. Selbstironie kommt bei Jankowski also nie zu kurz, und ja, da ist es, das Schmunzeln, als ich das Haus verlasse.

Etwa 15 Fußminuten entfernt liegt die Schöneberger Galerie Blain|Southern. Als ich in die Mercator Höfe einbiege, werde ich kurz unsicher. Hätte ich mich umziehen müssen? Die sektschlürfenden Besucher_innen dieses Galerienhofes sehen aus, als hätten sie sich im Monat geirrt, und wollten eigentlich zur Fashion Week. Schon gut. Dass Kunst mittlerweile schick ist und die Berlin Art Week erst recht, ist ja nichts Neues.

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Installationsansicht, Courtesy: Künstlerin und Galerie, Foto: Christian Gläser

Beim Betreten der Galerie erst einmal das Gefühl der Überwältigung. Wahnsinn. Was man zu sehen bekommt, ist ein überdimensionales Konstrukt aus rotem Garn, welcher mit großen Drahtbooten am Boden und der Metallgitterdecke des hohen Galerieraums verknüpft ist. Die rote Farbe scheint aus den Booten herauszusprudeln, herauszuplatzen wie eine Detonation im Farbeimer. Ein tolles Bild. Eine wahnsinnig aufwändige Arbeit.

Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota hat ihre Arbeit „Uncertain Journey“ genannt. Noch einer der Gründe, weswegen meine Assoziationen und Interpretationen politischer Natur waren – Flüchtlingsboote, eine ungewollte Reise in eine ungewisse Zukunft. Als ich mir den Begleitzettel zur Hand nehme, wird allerdings schnell klar – Shiotas intendierte Aussage ist eher ein First World Problem. Die Suche, die Verbundenheit und die Suche in Verbundenheit. Ein wenig enttäuscht bin ich schon darüber. Noch schnell in den zweiten Stock der Galerie gekraxelt, die wirklich jeden White-Cube-Traum erfüllt.

Nach dieser Ästhetikorgie im Erdgeschoss, müssen die Arbeiten im zweiten Stock leider abstinken. Dann doch noch schnell einmal durch das Booteuniversum gelaufen, bevor es mich wieder an die Luft treibt. Gegenüber der schicken Mercator Höfe findet in der syrisch-orthodoxen Kirche gerade eine fette Hochzeitsparty statt und während man in der Potsdamer Straße noch Art-Week-Menüs in fancy Restaurants kredenzt bekommt, steht 3 Minuten weiter am U-Bahnhof Kurfürstenstraße der riesige 70er Bau mit der Leuchtschrift LSD (Love – Sex – Dreams) neben dem Woolworth. Ich liebe dich, Berlin.

Ich sehne mich jetzt schon nach dem Wedding. Auf dem Programm steht aber noch die 5-Tage-Ausstellung „Mama ich liebe dich“ des Berliner Künstlers Eirikur Mortagne in der Galerie „A Space under Construction“ über dem Ritter Butzke in Kreuzberg.
Die fotografischen Arbeiten zeigen verschiedenste Formen der Liebe. Liebe als Ware, als Obsession, als Gefühl. Wer da an Andres Serranos weltberühmte Fotoserie „A History of Sex“ denkt, liegt gar nicht mal so falsch. Mortagnes Fotografien werfen einen zwar recht schonungslosen Blick auf das Nachtleben Berlins, die LGBTQ*-Community und das Rotlichtmilieu, den er in analogen Momentaufnahmen einfängt.

Gezeigt werden aber auch inszenierte Fotografien, Akte, Lack und Leder. Daneben finden sich Momentaufnahmen des nächtlichen Heimwegs. Da sind plötzlich Isolation Berlin beim Herumalbern, aber auch die zärtliche Aufnahme eines im Gras schlummernden Paares, welche die etwa 50-jährigen Frau neben mir dazu bewegt sehr gerührt über die Fotografie zu sprechen. Das sei ja gar nicht so krass wie die anderen Fotos. Das sei voller Liebe, ganz sanft. Ich nicke zustimmend, zumindest in meinem Kopf. Neben Zärtlichkeit entdecke ich auch eine ordentliche Portion Ironie. Unter der Fotografie eines in Vogelperspektive aufgenommenen erigierten Penis, der gerade von einem Frauenfuß gestreichelt wird, befindet sich die Fotografie einer Frauenhand, die gerade ein Wiener Würstchen in ein aufgeschnittenes Brötchen legt.

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Ausstellungsplakat „Mama ich liebe dich“

Die Momente wirken intim, vertraut, kein bisschen anrüchig und bieten eine tolle Ausstellung in einem treffend ausgewählten Raum. Auf 600 qm präsentiert der Künstler seine Farbfotografien und man kann sich gut vorstellen, dass zwischen diesen Bildern, in diesem Raum, bei einer grandiosen Party die nächsten Aufnahmen entstehen könnten.

Mittlerweile ist es halb sieben. Seit 18 Uhr hat auch die letzte Station meines Art-Week-Tages geöffnet. Endlich in den Wedding. Im Soldiner Kiez befindet sich seit etwa zehn Jahren der Kunstraum „Kulturpalast Wedding International“. Auf geschätzten 20 qm wird die Ausstellung „Wave if you are real“ gezeigt. Die Künstler_innenpositionen, die hier zu sehen sind, interagieren allesamt mit der Frage nach Identität. Die Arbeiten spielen mit der Inszenierung, Performativität, Klischees und der Aufdeckung solcher. Die afro-deutsche Künstlerin Fatima Njai inszeniert sich auf drei großformatigen Fotografien als fleischgewordenes Exotismusklischee in Zebrafellkleid und mit Knochen im Haar, eine Banane essend oder tänzelnd. Die Künstlerin Nora Below, zeigt sich Cindy-Sherman-like in verschiedensten Rollen und ist grandios dabei, während Mark Met eine fotografische Arbeit präsentiert, die ihn selbst als tanzendes Funkenmariechen in der Türkei zeigt, oder in einer Bewegtbildarbeit als Kapitän, der eine gefühlte Ewigkeit Schiffe versenken mit sich selbst spielt.

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Ausstellungsansicht „Wave if you are real“

Es ist eine durchdachte und kluge Ausstellung, die da gezeigt wird. Die Arbeiten von Nora Below und Fatima Njai sind wohl meine Lieblinge des Tages. Und auch die Atmosphäre im Weddinger Kunstraum ist toll. An der Bar, mit der sich der Laden über Wasser zu halten scheint, gibt es nur polnisches Bier oder Club Mate. Die Videos schaut man von kuscheligen Couches aus. Dennoch sind die gezeigten Werke von hoher gesellschaftlicher Aktualität und in ihrer Zusammenstellung sehr gelungen.
Als meinen Favoriten würde ich den Kulturpalast Wedding vielleicht nicht gleich bezeichnen – aber irgendwie fühle ich mich hier doch am wohlsten. Wenn das so weitergeht, soll der Herbst ruhig kommen.

Harte Fakten zu den Ausstellungen:

Christian Jankowski : Die Legende des Künstlers und andere Baustellen
Zeitraum: 15.09.2016 – 20.11.2016
Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, 10785 Berlin
Di-So, 11-18 Uhr
Eintritt frei

CHIHARU SHIOTA: UNCERTAIN JOURNEY
Zeitraum: 17.09.2016 – 12.11.2016
Blain|Souther, Potsdamer Straße 77–87, 10785 Berlin
Di-Sa, 11-18 Uhr
Eintritt frei

Eirikur Mortagne: Mama, ich liebe dich
Zeitraum: 15.09.2016 – 19.09.2016
A Space under Construction, Ritterstraße 26, 10969 Berlin
Eintritt frei

Wave if you are real
Zeitraum: 13.09.2016 – 02.10.2016
Kulturpalast Wedding International, Freienwalder Straße 30, 13359 Berlin
Eintritt frei

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Courtesy Titelbild: Christian Jankowski, Haus am Lützowplatz