„Honey Sugar Ray Earl, du hast manchmal ganz schön eklige Züge an dir!“

John Bock begeistert mit seiner ersten großen Museumsausstellung „IM MOLOCH DER WESENSPRÄSENZ“ in der Berlinischen Galerie.

„What sphinx of cement and aluminium bashed open their skulls / and ate their brains and imagination / Moloch! Solitude! Filth! Ugliness! Ashcans and unobtainable / dollars! Children screaming under the stairways! Boys / sobbing in armies! Old men weeping in the parks! / Moloch! Moloch! Nightmare of Moloch! Moloch the loveless! / Mental Moloch! Moloch the heavy judger of men!“
Der Moloch als der Ursprung allen Elends. Ein Albtraum, Einsamkeit, schreiende Kinder, weinende Männer – so klagt Allen Ginsberg 1957 in seinem Gedicht „Howl“ vom Elend der Großstadt, des Kapitalismus, der Gesellschaft. Ganz so dramatisch ist der Moloch, den uns der deutsche Künstler John Bock in der Berlinischen Galerie präsentiert nicht. Dennoch – John Bock hat in der BG ein chaotisches Paralleluniversum erschaffen. Beklemmend, urkomisch und grotesk. Die Arbeiten ziehen die Besucher_innen in einen Strudel zwischen Horror, Witz, Theater und Ekel. Umso skurriler, dass man John Bocks Moloch gar nicht mehr verlassen will. Grandios.

Eingangs drei Vitrinen: ein Kruzifix und Madonnen, ein Käfig gefüllt mit einem Hasenkäfig, ein Kissen, ein Topf, an den ein Fischskelett so geknotet ist, dass es den Fischkopf hebt. Ein Video mit albtraumhaften Szenen: eine Frau, die eine Forelle mit einer Nagelschere zerlegt – piks, piks, piks in die Augen (already too much Bataille for me). Dann die Haut ab und dann ganz vorsichtig das Skelett herausheben, um es eben an jenen Topf zu knoten.

Gegenüber: ein Video, dessen Inhalt beinahe wie eine Castorf-Inszenierung wirkt. Davor eine golemhafte Skulptur. Dazwischen ein kioskartiges Büdchen, ausgestattet mit Eierlikör, kleinen Öfen für Toast Hawaii und einem Überwachungsbildschirm. Dann beugt man sich ein wenig in das Häuschen, um einen Blick vom hinteren Teil zu erhaschen. Barocktapete, gruseliges, schmutziges Spielzeug, eine kerkerartige Kammer – den Blick dann wieder auf den Überwachungsmonitor gerichtet, huscht da plötzlich eine hybride Gestalt vor der gerade noch betrachteten gelben Tapete durchs Bild. Charlotte Perkins Gilman lässt grüßen und gruselig ist das außerdem. In diesem ersten Abschnitt des prall gefüllten Ausstellungsraums wird klar – John Bock bewegt sich hier in einer Grauzone. Ein Moloch aus Horror, Ekel, Faszination, Einsamkeit und Wahn.

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John Bock, Escape, 2013, Installation mit Video, 7:30 Min., Teil der Installation Appeldorn, 2014, Copyright: John Bock, Courtesy Sprüth Magers, Anton Kern Gallery/ Gió Marconi Gallery / Regen, Project / Sadie Coles HQ, Foto: Tim Ohler

Läuft man den Ausstellungsparcours weiter ab, ist aber schnell klar, Ironie und Groteske kann der 1965 geborene Künstler auch. Man betritt eine Szenerie, die einen sofort Teil des Geschehens werden lässt. Ein Auto mit abgeschnittener Motorhaube. Da kann man sich reinsetzen. Statt einem Duftbaum schwingt allerdings was Anderes vor der Nase – Gedärm, oder ja, etwas was Gedärm darstellen soll. Hinter einem rauscht das nächtliche Köln vorbei. Mit Blick nach vorn wird man Teil einer Flucht. Bonnie und Clyde mal anders. Denn „Clyde“ ist verletzt und freundet sich mit dem „kleinen Gedärm“ an, das er aus seinem blutenden Abdomen zieht. „Das kleine Gedärm hat gerade seine Selbsterkennungsphase“ Oha, Lacan kann er also auch.

In einer riesigen Höhle aus Decken à la Community (ein Kindheitstraum wird wahr) bekommt man das groteskeste Puppentheater überhaupt zu sehen (I swear!). Der in barocker Kostümierung steckende Protagonist des Videos hockt hinter seinem Kasperletheater, aka 80er-Jahre-Gartenliege-von-Oma, und führt eine etwas, naja, eigenwillige Interpretation von Moby Dick auf. Das ist Kinderphantasie mit Sinnlosbegriffen, gepaart mit Mörderphantasien, Weltherrschaftsstreben und Perversion. Großartig. Wann passiert es schon mal, dass man alleine im Kunstmuseum steht und vor Lachen nicht an sich halten kann?
John Bock hat mit „Im Moloch der Wesenspräsenz“ einen absurden Parcours geschaffen, der die Sinne zwischen Ekel, Lust, Faszination und Witz hin und her rüttelt. Die Arbeiten sind böse und urkomisch. Ständig verweisen Sie auf literarische Referenzen und lassen einen ganz angetan in den surrealen Moloch versinken, den der Künstler uns hier vorführt.
Moloch the heavy judger of men!

Harte Fakten zur Ausstellung:
John Bock: Im Moloch der Wesenspräsenz
24.02.2017 – 21.08.2017
Berlinische Galerie: Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur
Alte Jacobstraße 124-128, 10969 Berlin
Mi – Mo: 10-18 Uhr
8 Euro normal, 5 Euro ermäßigt

Titelbild: John Bock,
Escape, 2013, Video, 7:30 Min.,
© John Bock, Courtesy Sprüth Magers, Anton Kern Gallery / Gió Marconi Gallery / Regen, Projects / Sadie Coles HQ, Foto: David Schultz