Der weibliche Bartleby in uns

Laurie Penny plädiert in ihrem neuen Buch „Bitch Doktrin“ dafür, ein Miststück zu sein.

Margarete Stokowski beschwor bereits in ihrem Buch „Untenrum Frei“, dass jede Frau* sich eine „Poesie des Fuck You“ zulegen solle und diese verinnerlichen wie ein Mantra, um sich vor all‘ dem sexistischen Quatsch zu schützen, der einer entgegen geballert wird. Die britische Feministin Laurie Penny schließt sich an dieses Mantra an und plädiert dafür, eine Bitch zu sein, denn dafür werde man nun einmal gehalten, wenn man Dinge ausspräche, die viele nicht hören wollen. Ihr Buch „Bitch Doktrin“ ist jetzt im Verlag Edition Nautilus auf Deutsch erschienen.

Wenn wir uns dagegen damit abfinden, als Miststück beschimpft zu werden, geben wir durchaus nicht klein bei, sondern wir entscheiden uns für die Freiheit. Es gibt viel Schlimmeres, als dass anderen nicht gefällt, was wir sagen.

Penny ist eine der führenden Stimmen des Feminismus der vierten Welle, auch wenn sie das selbst nicht so bezeichnen würde. Eher wie einen „großen rollenden Tsunami, der sich behäbig über eine Einöde allgemein akzeptierter Annahmen wälzt und alte Gewissheiten fortschwemmt.“ Und tatsächlich kommt Pennys Essaysammlung wie ein wütender Orkan über uns – vieles, von dem was Penny schreibt ist gewiss nicht neu, aber in ihrer Wut und Lautstärke durchaus eindrücklich.

In zahlreichen Essays, sortiert nach Themenbereichen wie „Liebe“, „Kultur“, „Gender“, „Gewalt“ und weiteren, fegt der Penny-Tsunami über überholte Rollenmodelle und toxische, weiße Männlichkeit. Sie schreibt über Kapitalismus, über Trump und über Machtkämpfe. Und wie gesagt, vieles davon ist durchaus nicht neu, dennoch überraschend, wenn sie schreibt das Schlimmste an der Rolle, die James-Bond-Filme vermitteln sei, „dass er angeblich der Gute ist. Bond ist ein gestörter Vergewaltiger, der in staatlichem Auftrag Leute umbringt – aber ein Antiheld ist er trotzdem nicht. Er ist nur ein Held. Wenn unser Kind uns erklärte, es wolle später mal werden wie Hannibal Lecter, wären wir beunruhigt. Bond dagegen wird akzeptiert, und an Halloween verkleiden sich Heerscharen kleiner Jungs […] als 007.“ Und das ist durchaus radikal, weil es popkulturelle Traditionen, auf die sich seit Beginn der Hollywoodfilm-Industrie, Generationen um Generationen beziehen, zerschlägt, gar zertrampelt. Und das ist gut so.

re:publica 2013
Autorin Laurie Penny, Wikimedia Commons

Popkulturelle Analysen finden in Bitch-Doktrin genauso statt, wie Analysen gegenwärtiger Politiken, aber auch Fragen nach Gleichberechtigung in heterosexuellen Beziehungen werden aufgeworfen – und diese sind extrem ernüchternd. Frauen seien als Singles besser dran, denn sie seien überarbeitet davon Bettgespielin und Mamaersatz für den Partner zu spielen und gleichzeitig Karriere zu machen. Denn Karrieren sind für Frauen  zwar möglich, die Rollen haben sich aber nicht wirklich umverteilt und so steht man nun vor Gesellschaften von Frauen mit einer 120-Stunden-Arbeitswoche. Frauen sollen, so Penny, endlich den Bartleby aus Melvilles Erzählung in sich entdecken, und auf jede Bitte eine „Routineaufgabe“ zu erledigen einfach antworten „I would prefer not to“.

Ihre Essays sind witzig, scharfsinnig, provokant und verdammt klug, denn Laurie Penny denkt durchaus immer ihre eigene Position als weiße, gebildete, gut situierte Frau mit. Sie weiß, dass sie nicht für jede Frau sprechen kann, bezieht in ihren Analysen dennoch immer wieder Stimmen Queerer und People of Colour ein. Popkultur, Polyamorie und Politik werden mit gleicher Ernsthaftigkeit Beachtung geschenkt, wie heterosexuellen Beziehungen, Genderpolitiken und Jane Austen. Und neben dem Mantra der Bitchiness, das Penny uns mit auf den Weg gibt, sollten wir wohl alle den Bartleby in uns wachrütteln, um endlich das „I prefer not to“ über die Lippen zu bekommen.

Laurie Penny. „Bitch Doktrin. Gender, Macht und Sehnsucht“. Aus dem Englischen von Anne Emmert. Edition Nautilus, Hamburg. 316 Seiten, 18 €.

Wir danken Edition Nautilus für das Rezensionsexemplar.