Der Rausch ist vorbei – „Das Leben des Vernon Subutex 3“

Im finalen Teil der Trilogie lässt Despentes ihre Protagonist*innen erst hoch fliegen und dann tief fallen. 

(Hier geht’s zu den Besprechungen von Teil 1 und Teil 2)

Die ersten beiden Bände erzählen die Geschichte des Vernon Subutex – einst gefeierter Plattenhändler, dann pleite und schnell ganz unten. Eine Gruppe aus ehemaligen Freund*innen und Figuren des ersten Bandes geht schließlich, aus nicht ganz nachvollziehbaren Motiven, auf die Suche nach Vernon, der auf der Straße gelandet ist und dort fast krepiert. Sie finden ihn, peppeln ihn auf und versammeln sich dann regelmäßig bei ihm im Park, wo er jetzt haust, weil er geschlossene Räume nicht mehr erträgt. Vernon wird zu einer Art Diogenes von Sinope, der seine Schützlinge um sich schart und sie lehrt vom Müll der Pariser Polis zu leben – unabhängig und frei.

Hatten die Freund*innen Vernon Subutex bereits im zweiten Teil als eine Art obdachlosen Messias verehrt, wird der Protagonist im dritten Teil gänzlich zum Guru, dessen Gefolge sich immer mehr ausweitet.

Nachdem sich die Truppe am Ende des zweiten Bandes irgendwo auf dem Land niedergelassen hat, veranstaltet diese in regelmäßigen Abständen sogenannte Convergences mit Vernon als DJ-Guru, der alle Tanzenden in Ekstase zu versetzen vermag. Wie Jule Govrin auf ZEIT ONLINE so schön schreibt: „God is a DJ“.

Als Gruppe, die in sich kaum unterschiedlicher sein könnte, reisen sie durch Frankreich, bauen ihr Zeltlager auf, verbannen Handys, Internet und Licht und begeben sich – ganz ohne Drogen wohlgemerkt – dem Rausch der Musik hin. Zwei Girls aus Bordeaux haben noch die heiß begehrten Tapes des Sängers Alex Bleach abgemischt, was die Séance ganz perfekt macht. So weit, so harmonisch.

Im Camp hatte sie sich aus der normalen Wirklichkeit ausgeklingt. […] Es war ein kollektiver Ausstieg. Sie hat sich selten so lange gut gefühlt, egal wo.

Dann stirbt Charles. Der Alki, der im zweiten Band plötzlich Millionär geworden ist und kein (naja) Sterbenswörtchen gesagt hat. Die Véro, seine ebenfalls alkoholabhängige Freundin, will aber natürlich nix abgeben vom Erbe, weswegen sich die ach so harmonische Gruppe am Ende doch wegen Geld verkracht und sich dann wieder einkriegt.

Nebenbei erfahren die Leser*innen mehr über die Aufenthalte von Céleste und Aïcha, die im zweiten Teil den Vergewaltiger von Aïchas Mutter, Doplalet, mit diversen Fiesheiten tätowiert haben und dann von der Hyäne versteckt wurden. Aber nicht nur die Lesenden erfahren, wo genau sich Céleste aufhält, sondern auch ein Psychopath, den Dopalet engagiert hat, um für ihn die Drecksarbeit zu erledigen. Céleste kann entkommen, allerdings für ihr Leben gezeichnet.

Das ist nur der Anfang der Katastrophe. Daneben stehen die Anschläge in Paris und die Tode vieler Helden. Erst der Tod vom Lemmy im Dezember 2015, dann von Bowie, von Cohen, von Prince, von George Michael  (ja wir erinnern uns alle an dieses verflixte Jahr 2016).

Die privaten Krisen und Neurosen der Gruppe scheinen in die Öffentlichkeit zu brechen, die öffentlichen Krisen und Katastrophen brechen ins Private.

Diogenes von Sinope und seine Zuhörer. Jean-Léon Gérôme: „Diogenes“; Wikimedia Commons.

Die Gruppe um Vernon versucht sich wieder aufzurappeln, Convergences zu veranstalten, den zivilen Rehab zu proklamieren. Durch einen brutalen Zwischenfall kommt zum Schluss des Romans allerdings alles zum Erliegen. Der einzige Überlebende ist ausgerechnet Subutex.

Damit bringt Despentes ihre (auch bisher vom foejetong) gefeierte Trilogie zu Ende. Obwohl Despentes wieder den gnadenlos trockenen Ton trifft, in dem sie die unsäglich krassen Gedanken ihrer Figuren schildert (dieses Mal grandios in Bezug auf den gesellschaftlich tief verankerten Frauenhass), stimmt was nicht an diesem Roman. Was Despentes in den ersten beiden Teilen begnadet begonnen hat – eine Geschichte um verlorene Träume und die Neurosen einer westeuropäischen Gesellschaft im 21. Jahrhundert, die sie, gesponnen um das Leben des Protagonisten Vernon, nahezu perfekt mit zeitgenössischen Ängsten verknüpft, kann sie im letzten Band dann leider nicht so großartig zu Ende bringen. Es scheint, als würde Despentes an jenen Eigenschaften, die die ersten beiden Bände so genial machen, scheitern.

Sie ist mitgegangen, und ihm soll keiner erklären, dass sie nicht insgeheim wusste, dass er irgendwas im Schilde führte. Sie wissen es. Und gehen trotzdem mit. Wenn sie sich schützen würden, könnte man sie nicht so leicht missbrauchen.

Personen werden plump eingeführt, Erzählstränge holprig wieder aufgenommen, wie beispielsweise „Vernon und Olga stoßen zu ihnen. Vernon ist wieder da“. Ganz zu schweigen, von der „Bombe“ (im wahrsten Sinne des Wortes), die die Autorin quasi platzen lassen muss, um diese ewig vor sich hin mäandernde Geschichte des dritten Bandes zu Ende zu bringen.

Und als wäre es nicht sowieso schon viel zu viel des Guten, streut sie am Ende dann auch noch eine wahrscheinlich ironisch gemeinte Dystopie ein, die leider weder mit Augenzwinkern noch irgendwie anders funktioniert. Stattdessen wirkt dies, als hätte die Autorin zu viele Kritiken des zweiten Bandes gelesen und müsse die religiöse Komponente des Romans, die viele Kritiker*innen dem Werk einschreiben, noch einmal unterstreichen und sagen: „Seht her, genauso war es gemeint“.

Nach den hohen Erwartungen, die durch die ersten beiden Bände geweckt worden sind, bringt Virginie Despentes den dritten Band von „Das Leben des Vernon Subutex“ leider enttäuschend zu Ende.

 

 

Virginie Despentes: „Das Leben des Vernon Subutex 3“
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Kiepenheuer & Witsch 2018; 416 Seiten; 22,- €

Wir danken Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar!