Das vielfältige Universum der Elena Ferrante – „Der Strand bei Nacht“

Elena Ferrantes Kinderbuch „Der Strand bei Nacht“ ist nicht nur etwas für Kinder. Motivisch und symbolisch entfernt sich die Autorin nicht so weit von ihren Romanen, wie man vielleicht meinen könnte. 

Die Puppe Celina ist sauer. Ihre Besitzerin Mati hat nur noch Augen für das Kätzchen Minù, das ihr gerade von ihrem Vater geschenkt wurde. Celina liegt im Sand und wartet, dass Mati sie beachtet. Doch dann bricht die Familie auf und Celina wird am Strand vergessen.

Als alle Badegäste gegangen sind, beginnt der gruselige Strandwärter seine Arbeit und kehrt zusammen, was liegen geblieben ist – Essensreste, verlorenes Spielzeug, Müll. Celina hat es auch erwischt. Sie ist gefangen. Nun beginnt ein gefährliches Abenteuer, als sie versucht ihrem Schicksal zu entgehen. Doch der Strandwärter ist hartnäckig. Er hat ein Ziel: Celinas Worte zu stehlen.

Ich verstecke alle Wörter, die mir Mati beigebracht hat, tief unten im Hals, die Wörter, die wir zum Spielen brauchen, und ich sage keinen Mucks.

Mit „Der Strand bei Nacht“ hat Ferrante ein für ihr Oeuvre ungewöhnliches Werk geschaffen – ein Kinderbuch. Dennoch ist die Stimme der Autorin stark zu hören. Ihr Erzählstil und die Motive erinnern und verweisen auf Bilder, die d* treue Ferrantelesende bereits kennt. Wir werden mit dem Verschwinden konfrontiert – ein Motiv, das sich mehrfach in der Neapolitanischen Saga findet (die Puppen, die im Schlund des Hauses von Don Achille verschwinden; Lilas Kind Tina und schließlich auch Lila selbst, die sich scheinbar in Luft auflöst), aber auch in „Lästige Liebe“ allgegenwärtig ist (Mutter Amalia).

Autorin und Ferrante-Expertin Viviana Scarinci beschreibt dies so: „Durch die Bilder und den kurzen Text, wirkt die Geschichte wie eine typische Ferrante-Metapher für Verfall und Untergang: Blättert man durch das Buch, wird man Zeuge eines Verschwindens.“

Auch das Motiv der Puppe ist ein uns bekanntes und wird ebenfalls im Roman „Frau im Dunkeln“, welcher im Februar bei Suhrkamp erscheinen wird, wichtig. Auch der Strand ist uns aus der Neapolitanischen Saga und „Lästige Liebe“ als ein Ort bekannt, der uns als durchaus gefährlicher präsentiert wird (ich sage nur Donato Sarratore).

Illustration aus „Der Strand bei Nacht“

Außerdem wird die Angst vor dem Verlust der Sprache thematisiert – ein wichtiges Instrument, das Protagonistinnen der Ferrante-Romane sich zu Nutze machen, um sich aus dem Neapolitanischen Sumpf zu befreien.

Umso interessanter ist, dass Ferrante aus all diesen mystischen und potentiell gefährlichen Motiven gerade ein Kinderbuch strickt.

Denn auf dem Meer tobt die Sturmbraut der Nacht.

All ihre Texte scheinen verwoben, miteinander in Kontakt und wichtig füreinander. Selbst die Namen der Figuren im Kinderbuch erinnern stark an Namen der Neapolitanischen Saga.

Also kurzum für alle Ferrante-Fans: Kinderbuch hin oder her – Es lohnt sich, um noch weiter in das mysteriöse und verwobene Ferrante-Universum einzusteigen. Auch wenn man schon mehr als vier Jahre auf dem Buckel hat. Außerdem sind die Illustrationen wirklich ein Hingucker.

 

Elena Ferrante: Der Strand bei Nacht, übersetzt von Karin Krieger, mit Illustrationen von Mara Cerri
Insel-Bücherei 1458, 47 Seiten, 14,00 Euro

Wir danken Suhrkamp/Insel für das Rezensionsexemplar!