Auf matschigen Grund gebaut

Samanta Schweblin untersucht im Erzählband „Sieben leere Häuser“ die Leere im Bewohnten. 

Immer tiefer gräbt sich das Auto in den fremden Vorgarten – sie sind zu nah herangefahren. Schon wieder muss sie mit ihrer Mutter in das Villenviertel fahren, die Häuser begutachten, sich die vermeintlichen schöneren Leben vorstellen, die sich hinter den Hausfassaden vergnügen. Bis das Auto eben im Matsch stecken bleibt.

Die Besitzerin des Hauses und Vorgartens bittet Mutter und Tochter dann ins Haus, dann ist die Mutter weg – im Obergeschoss, im Bad, im Schlafzimmer. Endlich so ein Haus auch von innen sehen! Nachdem sie die Eindringlinge endlich aus dem Haus geschafft hat, stellt die Besitzerin fest, dass das einzige Stück, das ihr zwischen alle dem teuren Pompom wirklich am Herzen lag, fehlt: die olle Zuckerdose. Die Leere beider Leben, die Einsamkeit und Verzweiflung der Figuren, wird in dieser skurrilen Eröffnungsgeschichte bereits deutlich.

Die Erzählungen Schweblins, 1978 in Buenos Aires geboren und in Berlin lebend, beschäftigen sich mit Häusern und den Menschen in diesen. Die Häuser sind bewohnt und doch leer, heimgesucht von Erinnerungen an verpasste Chancen, verlorene Menschen oder dem lauernden Tod, der nicht kommen will.
In der längsten und gleichzeitig beeindruckendsten der sieben Erzählungen „Höhlenatmung“, wartet die Protagonistin Lola, vom Alter krank und unbeweglich geworden, sehnsüchtig auf den Tod. Aber unvorbereitet soll es sie nicht treffen, deswegen packt sie Kisten, gibt Dinge weg, bis das Haus fast leer ist. Ihre Haarbürste hat sie versehentlich verstaut – jetzt muss sie den schmodderigen Kamm ihres Mannes nutzen. Aber schließlich soll es Fälle geben, bei denen Angehörige Verstorbener ein ganzes Jahr lang Sachen wegpacken. Das soll es bei ihr nicht geben. Doch ihre Packruhe wird gestört.

Es war eine kurze Liste:
Alles sortieren.
Entbehrliches weggeben.
Das Wichtige einpacken.
Sich auf den Tod konzentrieren.
Ihn ignorieren, falls er sich einmischt.

Der Nachbarsjunge – er ist ihr einfach nicht geheuer – ständig kommt er in den Garten und schwatzt mit ihrem Mann. Das kann sie aus dem Schlafzimmerfenster sehr genau beobachten. Und was ist mit dem Kakaopulver im Schrank? Ist das für den Jungen? Das regt Lola so sehr auf, dass ihre Atmung ganz laut wird, kratzig –Höhlenatmung.

Buenos Aires bei Nacht. ©Wikimedia Commons

Die Protagonsitin verstrickt sich im Laufe der Erzählung immer mehr in ihre Neurosen, sieht überall vermeintliche Gefahren, kann sie hören, kann sie spüren. Als Lolas Mann stirbt, schafft es Schweblin, die Erzählung so zu drehen, dass die Lesenden nicht umhin kommen die gesamte Geschichte zu hinterfragen. Liegt das alles schon viel länger zurück? Was ist Erinnerung, was ist Fakt, was ist Einbildung?

Die Liste bestand aus achtzehn Wörtern, und sie betrachtete jedes einzelne aufmerksam. Dann holte sie ihren Bleistift heraus und strich die letzte Zeile durch.

Schweblin, bereits Autorin mehrerer Erzählbände, beispielsweise „Die Wahrheit über die Zukunft“ (2010) und eines Romans, „Das Gift“, welcher 2015 erschien, siedelt ihre Geschichten zwar in Argentinien, genauer Buenos Aires, an, tatsächlich wirken sie aber universell. Die Protagonist_innen und deren Depressionen, Einsamkeit und Schrulligkeit, können die Lesenden problemlos überall verorten. Diese Universalität ist Schweblins große Erzählstärke. Die Erzählungen sind zwar absurd, gar skurril, dennoch nachvollziehbar und das macht das Unwohlsein aus, das dem Lesen der Geschichten inneliegt. Die Nachvollziehbarkeit des Absurden, der Einsamkeit.
Schweblin macht allerdings ab und zu einen Schritt zu viel und katastrophisiert zu arg vor sich hin. Dann wird man kurz herausgerüttelt, hält inne, bis sie wieder einen Schritt zurücktritt und man sich wieder vollends im psychologischen Wirrwarr der Figuren verstrickt. Nichtsdestotrotz bietet Schweblin ein überzeugendes Werk – schon, weil „Höhlenatmung“ ein aufregender Text ist.

 

 

Samanta Schweblin: Sieben leere Häuser
Aus dem Spanischen von Marianne Gareis
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
150 Seiten, 20 Euro

Wir danken Suhrkamp für das Rezensionsexemplar!