… and the next song is about, well, cremation.

Phil Elverum (Mount Eerie) singt Lieder über den Tod seiner Frau in einem ehemaligen Krematorium. Ein Gastbeitrag von Lukas Seidel.

Schon der Weg ist befremdlich. Grabsteine, Herbstlaub und ein dunkler Novemberabend führen zu einem Gebäude, das sich, mit seinem Mansarddach und Säulengängen so gar nicht in die Architektur des Westberlins der Migrantinnen und Arbeiterinnen integrieren möchte. Viel zu klassizistisch und ehern steht da plötzlich dieser Klotz. Das Gelände, auf dem der Singer/Songwriter Phil Elverum, unter seinem Moniker Mount Eerie, gleich auftreten wird, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Krematorium errichtet und erfüllte diesen Zweck für fast ein Jahrhundert, bis es schließlich zum heutigen silent green Kulturquartier transformiert wurde.
Es ist sicher kein Zufall, dass Mount Eerie sein aktuelles Album „A Crow Looked At Me“ ausgerechnet in diesen Räumlichkeiten vorstellt. Jene LP, die, zwischen all den politisch aufgeladenen Zeitgeistwerken von Kendrick oder Kelela, in den nächsten Wochen in den Jahresbestenlisten der großen Musikmagazine und Blogs einen Sonderstatus einnehmen wird, nicht weil die Platte musikalisch sonderlich innovativ ist, sondern weil sie schon jetzt zu den persönlichsten Dokumenten zählt, die ein Songwriter jemals geschaffen hat.

Mount Eerie verarbeitet auf diesem Album den viel zu frühen Tod seiner Frau, der Künstlerin und Musikerin Geneviève Castrée, die vier Monate nach der Geburt der gemeinsamen Tochter an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb.  Entsprechend ist auch die Stimmung in der Kuppelhalle, der ehemaligen Trauerhalle des silent green.

Die Stühle sind schwarz, die Bühne karg und ab dem Moment, an dem Phil Elverum allein mit seiner Gitarre die Bühne betritt, herrscht Stille. Schon die ersten Zeilen des Abends sind erschütternd: „Death is real /Someone’s there and then they’re not / And it’s not for singing about /It’s not for making into art“, singt er, dessen Geschichte den ganzen Saal bewegt und der nicht anders kann, als für und über seine tote Frau zu singen. Im Laufe des Liedes wird er von einem Paket erzählen, das ein paar Tage nach dem Tod Genevièves ankommt. In diesem befindet sich ein Schulranzen für die gemeinsame Tochter, den sie vor ihrem Tod heimlich bestellt hat. Er wird dem Publikum mitteilen, wie er zusammenbrach und was er daraus mitnimmt: „It’s dumb / And I don’t want to learn anything from this / I love you“.

Dies ist der Rahmen, in dem sich dieses Konzert innerhalb der nächsten 70 Minuten bewegen wird. Keine Zeile beschäftigt sich mit etwas anderem, als dem Verlust seiner Lebensliebe. Wir werden dabei sein, wenn er die Asche seiner Frau verstreut oder wenn der Wind hinter ihm die Tür zuschlägt und er sich zu seiner Frau umdrehen will, nur um festzustellen, dass sie nie wieder die Tür zuschlagen wird.  Dem Publikum bleibt kein Raum all dem zu entfliehen und nach jedem Lied wird es auf ein Zeichen, ein leichtes Nicken, eine angedeutete Verbeugung von der Bühne warten, um sich dann doch zu leisem Applaus durchzuringen.
Textlich hat Phil Elverum eine Art Tagebuch erdichtet, das Verwandtschaft zu den Erfolgsromanen Karl Ove Knausgards, Thomas Melles oder Benjamin von Stuckrad-Barres aufweist. Doch während sich diese Autoren für die Langform entschieden, um Biografisches zu verarbeiten und somit den Leser_innen auch Atempausen gönnen, erweist sich Elverums Liedform als viel dringlicher, zumal seine Stimme auch ohne die Trauererfahrung schon immer ins Zerbrechliche neigte.
Textlich gibt es wiederkehrende Motive: Vögel, Pflanzen und Landschaft im Allgemeinen, das gemeinsame Haus auf dem Land, von dem wir erfahren, dass es wenigstens zwei Stockwerke gibt und Zeitangaben, die durch ihre Detailliertheit das Unbehagen der Zuhörer_innen nur verstärken.

Today I just felt it for the first time / Three months and one day after you died /I realized that these photographs we have of you / Are slowly replacing the subtle familiar / Memory of what it’s like to know you’re in the other room.

Der Abend ist in zwei Teile geteilt. Während des ersten Parts werden Songs der aktuellen LP vorgetragen und im Folgenden neue, noch unveröffentlichte Stücke, die sich ebenfalls mit dem Ableben Genevièves beschäftigen. Doch während die bekannten Lieder hauptsächlich dunkel sind, thematisieren die neueren Stücke ihren Tod aus einer weitreichenderen Perspektive, schweifen zu anderen Aspekten seiner Biografie ab und lassen an einigen Stellen gar finsteren Humor zu.

Wenn Eerie davon berichtet, wie er sich dazu hat breitschlagen lassen, seine Lieder auf einem Musikfestival zu spielen, um dann vor einem „bunch of young people on drugs“ seine Gefühle auszubreiten, dürften sich auch Teile des Berliner Publikums ertappt gefühlt haben. Aber als wäre das nicht alles, landet er im Laufe des Songs noch mit seinen Musikerkollegen Father John Misty und Skrillex im Tourbus und muss sich deren Attitüde aussetzen und was macht er daraus? Einen Sing-Along-Refrain, der an Zynismus kaum zu überbieten ist:  „People get cancer and die / People get hit by trucks and die / People get erased for no reason“.

So bitter dies ist, sind das doch auch die Momente, die diesem Abend Hoffnung verleihen. Mount Eerie scheint uns mitzuteilen, dass seine Trauerbewältigung vorankommt. Ganz zum Ende des Konzertes wird Phil Elverum einen Song mit den Worten einleiten „you know this place used to be a crematorium and the next song is about, well, cremation“, aber sofort korrigiert er sich „well, it features cremation“, denn seine Lieder handeln von seiner Frau. „I sing for you, Geneviève“ und dann ist der Abend vorbei. Phil Elverum setzt sich an seinen Stand mit Merchandise, kein Smalltalk mit Fans, was soll man auch sagen, wenn er sich eben an einem Novemberabend in der Trauerhalle eines Krematoriums entblößt hat? Und so geht es wieder vorbei an den Grabsteinen, durch das Herbstlaub in die Weddinger Nacht, aber Berlin scheint leiser zu sein als sonst. Death is real.

Fakten zum Album und zum Veranstaltungsort:

„A Crow Looked At Me“ ist bei W. Elverum & Sun erschienen

silent green Kulturquartier GmbH
Gerichtstraße 35
13347 Berlin

Titelbild: http://www.pwelverumandsun.com/